Küss mich, wenn Du kannst
ein beängstigend verführerischer Mann an ihrer Seite - welch ein romantisches Klischee... Eine melancholisehe Ballade würde sie jetzt nicht ertragen - das wäre zu grausam. Zu ihrer Erleichterung blieb die Musik beschwingt.
Sie tanzte mit Daniel und Kevin, und Heath mit deren Ehefrauen. Nach einer Weile fanden die Paare wieder zusammen, und für den restlichen Abend änderte sich nichts daran. Kevin und Molly verschwanden, um nach den Kindern zu sehen. Hand in Hand schlenderten Phoebe und Dan den Strand entlang. Die anderen tanzten weiter, zogen die Sweatshirts aus, wischten die Stirnen ab, erfrischten sich mit kaltem Bier oder einem Glas Wein, während ihnen die Musik einheizte. Immer wieder schlugen Annabelles Locken gegen ihre Wangen. Heath vollführte eine Travolta-Figur, die beide zum Lachen brachte. Danach tranken sie noch mehr Wein, berührten sich, glitten auseinander, fanden sich wieder. Hüfte an Hüfte, Schenkel an Schenkel, spürten sie, wie das Blut schneller durch die Adern rauschte. Krystal rieb ihr Hinterteil an Dans Kehrseite, wie ein Teenager im Freak-Dancing-Stil. Und Darnell umfasste die Hüften seiner Frau. Als er ihr tief in die Augen schaute, schien Charmaines Prüderie zu verfliegen.
Vom Lagerfeuer stoben Funken in den Himmel. Während Outcast »Hey Ya!« intonierten, schmiegte Annabelle ihren Busen an Heaths Brust, starrte in halb geschlossene dunkelgrüne Augen und sagte sich, ein Schwips würde einer Frau den perfekten Vorwand liefern, etwas zu tun, was sie normalerweise vermied. Am nächsten Morgen konnte sie behaupten: O Gott, ich war sternhagelvoll. Erinnere mich bloß daran, dass ich nie wieder trinken darf.
Gewissermaßen wäre das eine Freifahrkarte.
Irgendwann zwischen Marc Anthony und James Brown vergaß Heath, dass Annabelle seine Heiratsvermittlerin war. Auf dem Rückweg zum Cottage gab er der Nacht die Schuld, der Musik, den vielen Gläsern Bier und diesem wilden dunkelroten Chaos, das um ihren Kopf tanzte. Auch die mutwilligen bernsteinfarbenen Lichter in ihren Augen beschuldigte er, als sie ihn herausforderte, mit ihr Schritt zu halten. Die aufreizend geschwungenen Lippen, die kleinen nackten Füße, die Sand aufwirbelten. Aber am meisten ärgerte ihn die voreheliche Enthaltsamkeit, die er sich aufgezwungen hatte. Offenbar war er zu streng mit sich selber gewesen - sonst könnte er sich einreden, dies sei Annabelle, seine Heiratsvermittlerin, irgendwie sein - Kumpel.
Als sie sich dem dunklen Cottage näherten, verstummte sie. Sicher, an diesem Abend lenkte sie seine Gedanken nicht zum ersten Mal in sexuelle Bahnen. Doch das hielt er für eine normale männliche Reaktion auf eine interessante Frau. Für Annabelle, die Bettgefährtin, gab es keinen Platz in seinem Leben. Deshalb musste er sich in den Griff kriegen. Den ganzen Abend hatte ihr Gelächter wie helles Glockenläuten in seinem Kopf geklungen. Nun streifte sie seine Schulter, unerwünschte Hitze strömte in seine Schenkel. Er roch Holzrauch, ein leichtes, blumiges Shampoo, und er bekämpfte den Drang, sein Gesicht in ihrem Haar zu vergraben. Auf einem Beistelltisch lag sein Handy, das er dorthin gelegt hatte. Sonst wäre er womöglich in Versuchung geraten, irgendwen anzurufen. Eigentlich müsste er jetzt checken, ob Nachrichten eingetroffen waren. Aber das widerstrebte ihm in dieser Nacht - er war einfach zu faul. Umso eifriger schwirrte Annabelle umher, emsig wie eine Biene, und knipste eine Lampe an, wobei der Schirm verrutschte. Dann öffnete sie ein Fenster, fächelte sich Kühlung zu, nahm ihre Handtasche von der Couch und warf sie wieder hin. Als sie sich endlich zu ihm wandte, sah er den dunklen Fleck auf ihrem Top - die Spur des dritten Weinglases, das sie verschüttet hatte. Weil er ein Bastard war, hatte er es sofort wieder aufgefüllt.
»Jetzt gehe ich besser ins Bett«, meinte sie und knabberte an ihrer Unterlippe.
Unfähig, den Blick von diesen kleinen geraden Zähnen im rosigen Fleisch abzulenken, hörte er sich erwidern: »Noch nicht. Ich bin zu aufgedreht, und ich brauche jemanden, mit dem ich reden kann.« Den ich berühren kann.
Weil sie Annabelle hieß, las sie seine Gedanken und konfrontierte ihn ohne Umschweife mit der Situation. »Wie nüchtern sind Sie?«
»Fast völlig.«
»Gut, denn ich bin‘s nicht.«
Heath betrachtete die feuchte Blume ihres Mundes. Wie Blütenblätter teilten sich die Lippen. Er versuchte, sich einen anzüglichen Kommentar auszudenken, der sie beide aus dieser
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