Küss mich wie damals
Tasse ab, und sogleich erkundigte sie sich, ob sie ihm nachschenken dürfe.
„Nein, danke“, lehnte er höflich ab und ließ kurz den Blick durch den Salon schweifen. „Das Zimmer ist sehr hübsch eingerichtet.“
„Vielen Dank. Es hat mir Spaß gemacht, das Haus im Verlauf der Jahre neu zu dekorieren. Natürlich gehört es meinem Stiefsohn. Er hat mir jedoch zu verstehen gegeben, ich könne es so lange, wie es mir beliebt, als mein Zuhause betrachten.“
Die Situation würde sich jedoch ändern, wenn er mit fünfundzwanzig Jahren sein Erbe antrat. Dann fielen ihm der Besitz in Essex und die Stadtresidenz zu, sodass Frances genötigt war, sich eine andere Bleibe zu suchen.
„Ein Sohn, der etwas anderes vorschlägt, wäre sehr rücksichtslos, Madam“, erwiderte Marcus.
„Er ist sehr entgegenkommend, Euer Gnaden. Ich könnte mir keinen besseren Stiefsohn wünschen. Und ehe Sie mich fragen, teile ich Ihnen lieber gleich mit, dass ich keine eigenen Kinder habe.“
„Eine derart persönliche Frage hätte ich Ihnen nie gestellt.“
Frances ärgerte sich darüber, dass ihre Unsicherheit sich bemerkbar machte. Da sie nicht wusste, was sie mit den Händen anfangen sollte, nahm sie Marcus’ Teegedeck und stellte es auf das Tablett. „Man sagt, Stanmore House sei sehr eindrucksvoll, besonders die Prunktreppe“, sagte sie und lächelte höflich. „Ich habe gehört, auch die Empfangsräume seien sehr prächtig.“
„Das stimmt“, bestätigte Marcus. „Aber die Einrichtung ist etwas altertümlich. Meine verstorbene Gemahlin mochte London nicht und war nie hier. Daher ist die Inneneinrichtung des Palais’ noch so wie zu Lebzeiten meiner Mutter.“
Frances hätte sich gern erkundigt, warum seine Gattin London nicht gemocht hatte, aber das wäre ebenfalls eine zu persönliche Frage gewesen. Sie wollte nicht riskieren, dass Marcus sie darauf aufmerksam machte.
„Lavinia war nie in London“, fuhr er fort. „Bis jetzt hatte ich auch nicht das Gefühl, sie müsse unbedingt hier sein. Sie wird jedoch im nächsten Jahr siebzehn und muss, wenn sie eine gute Partie machen will, endlich lernen, sich in Gesellschaft zu bewegen.“
„Dafür ist doch noch Zeit genug. Mit siebzehn ist eine junge Dame meiner Meinung nach zu jung, um schon an die Ehe zu denken. In dem Alter ist man noch viel zu unerfahren und neigt zu Schwärmereien.“ Frances hoffte, dieser Hinweis gäbe Marcus zu denken. Aufmerksam schaute sie ihn an, um zu sehen, ob er begriffen hatte, dass sie damals nur ein leicht zu beeindruckendes Mädchen gewesen sei. Die Jahre hatten ihn indes offenbar gelehrt, seine Gefühle zu verbergen, denn er ließ nicht erkennen, ob die Spitze gesessen hatte.
„Ich habe nicht die Absicht, Lavinia zu verheiraten, bis sie innerlich dazu bereit ist“, entgegnete er. „Sie muss jedoch bei Hofe eingeführt werden, und ich möchte nicht, dass man von ihr sagt, ihr fehle es am nötigen Schliff.“
„Sie wollen ihn ihr vermitteln?“, fragte Frances mit verschmitztem Lächeln, und sogleich fühlte er sich an die Zeit vor siebzehn Jahren erinnert, an die junge Fanny, die so viel feinen Humor besessen hatte. Er stand auf, ging zum Fenster und schaute hinaus. Der Ausblick war immer noch derselbe, aber so hatte Marcus einen Vorwand, Frances nicht ansehen zu müssen, bis er sich wieder gefasst hatte. Er hatte sie aus geschäftlichen Gründen aufgesucht und durfte nicht zulassen, dass seine Gefühle die Oberhand gewannen.
„Nein, das wäre dumm von mir“, räumte er ein. „Ich werde jemand anderen für diese Aufgabe engagieren, zum Beispiel Sie, falls Sie einverstanden sind.“
„Mich?“, fragte Frances überrascht und erschüttert. „Sie belieben zu scherzen, Euer Gnaden.“
„Nein, das ist nicht der Fall. Bekanntlich wird von einer wohlerzogenen jungen Dame aus gutem Haus auch erwartet, dass sie zeichnen, aquarellieren und malen kann. Mir fällt niemand ein, der besser dafür geeignet wäre, meine Tochter in dieser Kunst zu unterweisen, als Sie, Madam.“
Er kehrte zu Frances zurück und setzte sich neben sie auf das Kanapee. Dieser Umstand trug nicht dazu bei, ihre mühsam bewahrte Fassung zu verstärken. Marcus war ihr viel zu nah, und plötzlich hatte sie den Wunsch, sich an ihn zu lehnen, seine Arme um sich zu fühlen und seine Lippen auf ihren zu spüren. Über sich entsetzt, erhob sie sich, ging zum Klingelzug und läutete.
Da sie aufgestanden war, musste auch Marcus sich erheben. Abrupt setzte sie sich
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