Küss mich wie damals
anlächelte wie jetzt und versuchte, sie für sich zu gewinnen. „Sie haben Schliff im Überfluss“, fuhr er fort. „Durch Sie könnte Lavinia lernen, höflich Konversation zu machen und sich in Gesellschaft richtig zu benehmen.“
„Zweimal pro Woche. Wie viel Lebensart kann ich ihr in so kurzer Zeit vermitteln?“
„Für den Moment genug. Ich erwarte meine in Irland wohnende, mit Felmore verheiratete Schwester und hoffe, sie, wenn sie hier ist, dazu bewegen zu können, meine Tochter auf deren im nächsten Jahr anstehendes gesellschaftliches Debüt vorzubereiten.“
„Warum brauchen Sie dann mich?“
„Oh, ich brauche Sie“, antwortete Marcus leise. Frances wünschte sich, die Frage nicht gestellt zu haben. Falls er jedoch annahm, sie werde ihm ob seiner Schmeicheleien aus der Hand fressen, dann täuschte er sich. Ein zweites Mal würde sie sich nicht von ihm betören lassen. Es stellte sich indes sogleich heraus, dass ihre Vermutung falsch war, denn er sagte in sachlichem Ton: „Ich habe geschäftliche Dinge zu erledigen und daher nicht die Zeit, Lavinia ständig zu irgendwelchen gesellschaftlichen Anlässen zu begleiten.“
„Ich soll sie also davor bewahren, in Schwierigkeiten zu geraten.“
„Dafür gedenke ich, Sie ausgezeichnet zu honorieren.“
Bestimmt würde er Lady Lavinia nicht persönlich zu Frances bringen, sodass sie genötigt war, ihn ständig zu sehen, sondern nur hin und wieder, um ihm von den Fortschritten zu berichten, die seine Tochter machte. Und diese Begegnungen würden dann sehr nüchterner Natur sein. „Glauben Sie, ich bin auf das Geld angewiesen?“
„Sind Sie das nicht?“
„Ja, Euer Gnaden, aber nicht aus dem Grund, den Sie offenbar annehmen. Und nur der Wunsch, es zu bekommen, macht mich geneigt, Ihr Angebot zu akzeptieren. Ehe ich mich jedoch endgültig entscheide, müsste ich Ihre Tochter treffen und mich mit ihr unterhalten. Vielleicht kommen sie und ich nicht gut miteinander aus.“
„Dafür habe ich Verständnis. Schlagen Sie mir einen Termin vor.“
„Kommen Sie morgen gegen zwei Uhr mit ihr zu mir.“
„Es wird mir ein Vergnügen sein.“
Frances stand auf, betätigte den Klingelzug und wies den eintretenden Butler an, Seine Gnaden zur Haustür zu begleiten.
Marcus stand auf und sagte: „Ihr untertänigster Diener, Madam. Bis morgen.“
Sobald er den Raum verlassen hatte, setzte sie sich wieder und schloss die Augen. Die Unterredung mit ihm hatte sie erschöpft. Sie war der Ansicht gewesen, er bedeute ihr nichts mehr, doch das war offensichtlich nicht der Fall.
Am nächsten Tag, als der Duke of Loscoe und seine sichtlich unwillige Tochter in den Salon gebeten wurden, war Frances etwas unwohl zumute, doch sie bemühte sich, das nicht zu erkennen zu geben.
„Ihr untertänigster Diener, Madam“, sagte er und verneigte sich. Wahrscheinlich verhielt er sich nur deshalb so manierlich, um seiner Tochter ein Beispiel zu geben.
„Guten Tag, Euer Gnaden“, erwiderte Frances höflich, wandte sich dann dem Butler zu und trug ihm auf, Tee und Gebäck zu servieren. Sie würde sich, da der Duke of Loscoe wollte, dass seine Tochter den nötigen Schliff bekam, nach Kräften bemühen, ihr zu demonstrieren, wie man sich in Gesellschaft benahm. Seine Steifheit und Förmlichkeit behagten ihr jedoch nicht. „Ich freue mich, Lady Lavinia, Sie wiederzusehen.“
Marcus versetzte seiner Tochter einen Stoß in die Seite. „Ich freue mich auch, Madam“, erwiderte das Mädchen mürrisch.
Frances wies auf die beiden sich gegenüberstehenden Kanapees und äußerte freundlich: „Bitte, nehmen Sie Platz.“
Marcus setzte sich neben die Tochter, sodass Frances, die sich ebenfalls niedergelassen hatte, imstande war zu beurteilen, wie sehr beide sich äußerlich ähnelten. Angesichts der verdrossenen Miene des Mädchens war sie nicht mehr sicher, dass es ihr gelingen werde, ihm Weltgewandtheit beizubringen. Für sie gab es nichts Schlimmeres als eine widerspenstige Schülerin. Irgendwie fühlte sie sich indes an sich selbst in jungen Jahren erinnert. Damals war auch sie aufsässig und schwer zu bändigen gewesen, denn sie hatte sich gegen ihre herrschsüchtige Mutter aufgelehnt. Später waren ihre Kräfte dann in eine akzeptablere Richtung gelenkt worden, als sie ihre Stiefkinder erzogen, sich der Wohltätigkeitsarbeit gewidmet und der Malerei hingegeben hatte.
Der Butler brachte die Erfrischungen, und einige Minuten lang war sie damit beschäftigt, den Tee
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