Kuess mich
Er konnte nicht mit ihr ins Wasser gehen, das wäre zu auffällig. Er hatte ihr gerade erst versichert, dass er nichts von ihr wollte, dabei würde er bleiben. Er war kein Typ der so jungen Mädchen den Kopf verdrehte, auch wenn sie noch so schön und interessant waren. Er würde ihr nur wehtun, das machte er immer, das war unvermeidlich. Chris schob die Sonnenbrille mit dem Zeigefinger wieder nach oben und legte sich zurück ins Gras. Sam tat es ihm gleich und ignorierte seine Ignoranz konsequent.
>> Macht ihr hier alle nur Ferien? <<
Ihre Frage ging ganz offensichtlich an Matthias und Sev, denen sie sich zugewandt hatte. Während der Schwarzhaarige ihr Feuer für ihre Zigarette gab, klärte Matthias sie auf.
>> Ja, das ist fast schon zum Ritual geworden. Wir haben uns vor Jahren hier kennengelernt, als wir noch mit unseren Eltern in Urlaub gefahren sind. Seitdem sind wir befreundet. Einmal im Jahr kommen wir wieder und versuchen den Unistress und die Arbeit zu vergessen. Einige von uns würden explodieren, wenn sie nicht mal kürzertreten würden, oder Chris? <<
Er stupste ihn an der Schulter an, aber der Blonde murrte nur.
>> Ich habe nicht vor zu explodieren… <<
>> Er ist gerne gestresst! <<
Trotz Matthias Bemühungen etwas aus ihm heraus zu kitzeln, blieb Chris stumm. Er hielt das Schweigen aufrecht, mit voller Absicht. Matthias kannte seinen Freund so nicht, schon gar nicht in der Anwesenheit von Mädchen die ihn so offensichtlich interessierten.
Normalerweise hätte er schon längst seinen Charme spielen lassen, aber den hatte Chris heute tiefgefroren, genau wie seine Emotionen.
Sam erzählte ein bisschen von zuhause, dass sie noch zur Schule ging und ihr Hobby Filme und Serien waren. Sie verlor sich in einem Monolog über Synchronisationen und Regisseuren. Darüber sprach sie gerne, deshalb wurde sie auch mit einem Mal so fröhlich, dass sie Chris aus purem Versehen ein Lächeln schenkte. Er hatte erzählt, dass Sakrileg sein Lieblingsfilm war, weil er Dan Brown Bücher liebte, daraufhin war es passiert. Als Sam bemerkt hatte, wie breit sie gegrinst hatte, war es schon zu spät gewesen. Chris hatte einen Mundwinkel nach oben gezogen und den Kopf schief gelegt, dann hatte sie sich wieder provokant zu Matthias und Sev gedreht.
Sam erfuhr, dass Matthias Dolmetschen und Sev Architektur studierte. Sie waren zweiundzwanzig und hatten sich mit fünfzehn hier am See kennengelernt. Chris war wahrscheinlich auch zweiundzwanzig, aber er schwieg sich wieder aus. Was er studierte und warum ihn Matthias als so gestresst beschrieb, blieb auch unbesprochen. Wahrscheinlich studierte er Sport, oder irgendetwas mit Wirtschaft. Gestresst war er, weil er achtzehn Freundinnen gleichzeitig hatte, zumindest dabei war sich Sam sicher.
>> Wollt ihr ins Wasser? <<
Matthias Vorschlag erntete allgemeine Zustimmung. Die Nachmittagssonne brannte unbarmherzig intensiv auf der Haut, es war heiß und windstill.
Sam hätte sich eigentlich zimperlicher angestellt, weil das Wasser kälter war als vermutet, aber Chris ließ sich so elegant ins tiefblaue Nass fallen, dass sie selbst dann nicht gezögert hätte, wenn darin Eiswürfel und Pinguine geschwommen wären.
>> Ich drehe eine kleine Runde, kommt jemand mit? << , wollte der Blonde wissen.
>> Nein, danke, ich hab wie immer keinen Bock auf 5 Kilometer Hardcoreschwimmen << , entgegnete Sev.
>> Vielleicht schwimmt Sam mit dir! Du siehst sportlich genug aus um mit Chris mitzuhalten. << , mutmaßte Matthias.
Sie zog eine Augenbraue in die Höhe.
>> Nein, danke. <<
Ohne auf Sams unterkühlte Absage zu reagieren, kraulte Chris los. Er war beeindruckend schnell, so schnell, dass Sam ihn nachstarren musste.
>> Schwimmt er im Verein? <<
>> Früher mal. Er war richtig gut << , erklärte Matthias.
Sam hätte gerne weiter nachgefragt, aber damit hätte sie zu viel Interesse an jemanden gezeigt, den sie auf ihrer Ignorier-Liste hatte.
>> Er ist übrigens nicht immer so… << , fing Sev plötzlich an.
Er und Matthias warfen sich seltsame Blicke zu.
>> Chris ist ein netter Kerl, aber er hatte es nicht immer leicht. Er wirkt vielleicht ein bisschen unterkühlt, aber sonst ist er… <<
>> Mir doch egal wie der sonst so ist! << , unterbrach Sam trotzig und ließ sich auf den Rücken treiben.
Der kindliche Unterton der ihren Satz untermalt hatte, war unüberhörbar gewesen.
>> Er hatte eine schwere Kindheit. Chris ist bei weitem nicht so ein großes Arschloch wie er manchmal sein
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