Küsse auf Eis - True Love and other Disasters
Büro verlassen hatte, war ihr erster Impuls gewesen, einfach wegzulaufen. Nach Hause zu flüchten, sich die Bettdecke über den Kopf zu ziehen und so zu tun, wie wenn alles wieder gut würde. Doch das ging nicht. Man erwartete von ihr, dass sie heute Abend in der Loge saß, als wäre ihre Welt nicht gerade zusammengebrochen.
»Wollen Sie ein Glas Wein?«, erkundigte sich Jules bei ihr.
Sie sah ihn mit leerem Blick an. Ihren Assistenten in dem pfirsichfarben-grünen Seidenhemd, der offensichtlich immer noch einen metrosexuellen Supergau erlebte. Was würde aus Jules?
»Faith?«
»Ja.«
»Möchten Sie Wein?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete sie gequält.
»Nummer einundzwanzig.« Die Stimme des Stadionsprechers schallte durch die Arena und dröhnte in Faiths Ohren. »Der Kapitän der Chinooks, Ty S-a-a-a-v-v-a-a-a-ge !«
Die Menschenmenge rastete aus, als er aufs Eis kam, und das Geschrei übertönte den qualvollen Schluchzer, der sich ihrer Brust entrang. Ty, die Hand zum Gruß erhoben, drehte eine Runde um die Eisbahn, und während er unter ihr vorbeilief, blickte er lächelnd nach oben. In jenem Moment zerriss es Faith das Herz, direkt dort oben in der Stadionloge. Nur schwer konnte sie ein leises Wimmern unterdrücken, und sie sprang auf. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, um den Laut zu unterdrücken, und rannte auf dem Weg zur Toilette fast Pavel und ihre Mutter um. Sie schloss die Tür hinter sich und umklammerte ihren Bauch, als sie den ersten Schluchzer nicht unterdrücken könnte.
»Was ist los, Faith?«, rief ihre Mutter besorgt durch die Tür.
»Nichts«, stieß sie mühsam hervor. »Mir ist schlecht.« Nachdem sie wieder aufschluchzte, wusste sie, dass sie dort nicht bleiben konnte. Sie musste nach Hause. »Kannst du mir meine Handtasche bringen?« Sie drehte sich zum Frisiertisch und betrachtete sich im Spiegel. Ihre roten Wangen und verweinten Augen. Sie ließ kaltes Wasser auf ein Papiertuch laufen und hielt es an ihr heißes Gesicht. Ihre Mutter kam herein und reichte ihr ihre Handtasche.
»Du siehst gar nicht gut aus«, befand Valerie. »Hast du schon wieder die Grippe?«
»Ja. Ich muss nach Hause.«
»Ich hole Jules, der kann dich hinfahren.«
Das Letzte, was sie wollte, war, vor ihrem Assistenten einen Weinkrampf zu kriegen. »Nein. Ich schaff das schon«, beteuerte sie und öffnete die Tür.
»Ruf mich an, wenn du zu Hause bist«, rief ihre Mutter Faith noch nach, die aus der Besitzerloge hastete.
Sie stolperte in den leeren Fahrstuhl und sah nur noch durch einen Tränenschleier, als sie nach unten fuhr. Auf der kurzen Heimfahrt riss sie sich noch zusammen, doch im Penthouse verlor sie endgültig die Beherrschung. Tränen strömten über ihre Wangen, während sie sich ihr Trikot über den Kopf zog und sich aus ihrer Jeans wand. Sie ließ beide Kleidungsstücke auf einen Haufen fallen und kroch ins Bett. Jules rief an, um sich zu vergewissern, dass sie gut angekommen war, und sie schaffte es, ihn zu überzeugen, dass sie nur »seltsam klang«, weil sie krank war. Dann legte sie auf und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Sie hatte alles verloren und sich in ihrem ganzen Leben noch nie so verlassen gefühlt. Landon hatte ihr alles genommen, und sie verspürte eine große Leere. Der Verlust tat ihr in der Seele weh. Gerade als sie anfing, ihre Rolle als Besitzerin zu genießen, gerade, als sie sich wirklich darauf freute, sich in der Chinooks-Stiftung zu engagieren, hatte Landon ihr alles genommen. Und was das Allerschlimmste war: Sie hatte selbst dafür gesorgt, dass er ihr auch Ty wegnahm.
Sie fühlte sich wie damals als kleines Mädchen. Allein und hilflos. Dabei hatte sie so hart daran gearbeitet, sich nie wieder so fühlen zu müssen. Und jetzt war es wieder so weit.
Ein weiterer Schluchzer ließ sie erzittern, und ihre dunkle Layla-Seite kam zum Vorschein. Sie überlegte, was es kosten
würde, Landon umlegen zu lassen. Er verdiente den Tod. Die Welt wäre besser dran ohne Menschen wie ihn. Natürlich brächte Faith das niemals fertig. Nicht nur, weil sie keine Mörderin war, sondern auch, da sie einen gesunden Respekt vor dem Gefängnis hatte.
Zwei Monate. Virgil war erst zwei Monate tot, aber ihr Leben hatte sich so radikal verändert, dass es ihr länger vorkam. Sie fühlte sich wie ein anderer Mensch. Stärker. Selbstsicherer.
Zwei Monate, in denen sie so viel gewonnen hatte, nur um alles zu verlieren. Eine sehr kurze Zeit, um sich rettungslos und
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