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Kuesse - heiß wie die Sonne Siziliens

Kuesse - heiß wie die Sonne Siziliens

Titel: Kuesse - heiß wie die Sonne Siziliens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grace
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Dach und mehr als einen feindseligen Nachbarn. Weit mehr.
    Sie nahm seine Hand an, stieg gemessen vom Stuhl herab und ging dann so würdevoll wie möglich die Stufen hinunter in den klammen, dunklen Keller. Wieder war Dario direkt hinter ihr, sein warmer Atem streifte ihren Nacken. Sie hätte das Gewölbe lieber allein erkundet und vielleicht einen verborgenen Schatz gefunden, so etwas wie einen alten, unglaublich wertvollen Wein.
    Holzregale standen an allen Wänden, darin lagen, Reihe um Reihe, staubige Flaschen. Wie sollte sie erkennen, welcher Wein noch genießbar war?
    Dario zog eine Flasche aus dem Regal und hielt sie hoch, sodass sie vom schwachen Licht erhellt war, das durch ein schmales, verstaubtes Fenster fiel. „1992“, sagte er. „Ein Bianco Soave, den mein Großvater gekeltert hat. Mit Wachs verschlossen. Ein ausgezeichneter Jahrgang, goldprämiert.“ Er deutete auf das Siegel am Etikett.
    „Gibt es häufig auch schwächere Jahrgänge?“
    „Leider ja. Mit den Trauben ist es wie mit dem Leben. Manche Jahre vergisst man am besten.“ Er schaute sie nicht an, und sie hatte das Gefühl, dass er mehr mit sich selbst als mit ihr sprach. Selbst in diesem feuchten, halbdunklen Keller konnte sie am Ausdruck seiner Augen erkennen, dass es nicht nur eine philosophische Augenblicksstimmung war. Er sprach von etwas, das ihm zugestoßen war, und was immer es sein mochte, er hatte es nicht vergessen. Sie hätte ihn gern gefragt, wie er, unterstützt von einer großen Familie und umgeben von vielen Hektar fruchtbarer Weinreben auch nur ein einziges schlechtes Jahr haben konnte. Wie schlecht konnte es schon sein? Schlecht genug womöglich, um die Azienda verkaufen zu müssen, aber es konnte bei Weitem nicht so übel gewesen sein wie ihr vergangenes.
    „Trockenheit oder Pilzbefall?“ Sie hatte gelesen, dass das eine wie das andere den Wein vernichten konnte.
    „Beides“, lautete die knappe, abweisende Antwort.
    Er schien nicht weiter darüber sprechen zu wollen, und Isabel vermutete, dass etwas Persönlicheres hinter den Verlusten stand. Wenn dem so war, würde sie die Details nie erfahren. Jedenfalls nicht von ihm.
    Dass er nicht über sich sprechen mochte, konnte sie gut nachvollziehen. Das letzte Jahr war ein Albtraum für sie gewesen, das schlimmste Jahr ihres Lebens. Sie hatte alles daran gesetzt, ihre Scham und ihren Kummer vor der Welt zu verstecken.
    Dann kam der Brief vom Anwalt, und ihr Leben nahm einen anderen Kurs. Es war eine der leichtesten Entscheidungen ihres Lebens gewesen, nach Sizilien zu reisen, um ihr Erbe anzutreten. Dieses Jahr würde ein gutes werden. Sie würde alles dafür tun. Und irgendwann würde sie für ihren eigenen Wein einen Preis bekommen. Isabel lächelte, als sie sich die goldenen Etiketten, die sie selbst entwerfen wollte, auf den Flaschen vorstellte.
    Sie warf einen Seitenblick auf Dario. Er schaute sie an, als wüsste er, dass sie einen Traum träumte, der niemals Wirklichkeit werden würde. Würde er wohl! Er wartete doch nur darauf, dass sie aufgab. Aufgeben? Am ersten Tag? Da kannte er sie schlecht.
    Nach einem langen Moment der Stille brach er das Schweigen. „Noch nicht entmutigt?“
    Sie schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Der Wein gehört Ihnen.“ Sie wies auf die Flaschenregale entlang der Wände hin. „Nehmen Sie die Flaschen mit.“
    „Rein rechtlich gehört er Ihnen“, sagte er kühl. „Aber ich bin neugierig, ob dieser hier gekippt ist.“
    Mit einem Messer, das an der Wand hing, brach er das Wachs auf und zog dann den Korken. Dann legte er den Kopf in den Nacken und hielt den Flaschenhals an den Mund. Fasziniert beobachtete sie seine Schluckbewegungen, während er den Wein trank. Als hätte er gemerkt, wie durstig sie war, reichte er ihr die Flasche. Seine Finger berührten ihre Hand, und augenblicklich hatte sie Gänsehaut auf den Armen. Sie fröstelte in diesem kühlen, feuchten Keller. Das war der Grund, nicht dieser große, dominante sizilianische Fremde.
    „Probieren Sie“, befahl er. „Sagen Sie mir, was Sie von dem Wein halten.“ Sie wusste, was er dachte. Natürlich besaß sie nicht den ausgebildeten Geschmack eines Kenners. Warum fragte er also?
    Sie legte ihre Lippen dorthin, wo seine eben noch gewesen waren, und schmeckte gleichzeitig ihn und den Wein. Ein wohliges Gefühl durchströmte sie – war es wegen dieses indirekten Kontaktes mit seinen Lippen, oder es war der starke alte Wein? Wie unfair von Dario, sie so in Verlegenheit

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