Kuesse - heiß wie die Sonne Siziliens
probieren möchte.“ Isabel hielt zwei Gläser in die Höhe. „Möchten Sie auch?“
Bot sie ihm gerade seinen eigenen Wein an? Er biss die Zähne zusammen, um nicht vor aufgestauter Wut zu explodieren. Ja, der Wein gehörte ihr, aber trotzdem. Am liebsten hätte er gegen die Wand geschlagen, um seine Irritation darüber rauszulassen, dass sie hier die Gastgeberin spielte. Sogar mit dem Schmutzfleck auf der Wange und dem Staub am Rock sah sie noch wie die Besitzerin des Anwesens aus. An ihrem Gesicht konnte er ablesen, dass sie das berauschende Gefühl des Besitzens empfand. Und wenn dieses Szenario sich verstärkte, würde sie niemals gehen wollen, gleichgültig, wie schwer der Job sich gestalten würde. Er war gezwungen, so schnell wie möglich Plan B zu starten.
„Ich kenne mich mit Wein nicht so gut aus, wie Sie das tun, aber mir scheint, dieser hier ist auch schön gealtert, was meinen Sie?“, fragte sie ihn, nachdem sie beide gekostet hatten.
„Nicht schlecht“, antwortete er und stellte sein Glas auf einem Mauervorsprung ab. „Wenn ich mich recht erinnere, haben wir für diesen Jahrgang eine Bronzemedaille gewonnen.“
„Sie haben anscheinend viele Auszeichnungen bekommen.“
„Ja, haben wir. Aber manche Wettbewerbe sind bedeutender als andere. In ein paar Wochen findet der Gran Concorso Siciliano del Vini statt. Dieses Jahr wollen wir Gold gewinnen.“
Er wollte den Mund nicht zu voll nehmen oder allzu selbstsicher scheinen, aber dieses Jahr würde das seiner Familie werden. Sie würden die Goldmedaille gewinnen und die Azienda zurückholen. Er wusste es. Er spürte es. Wenn er mit Adleraugen das Land, die Weinstöcke und das Einkeltern überwachte, würden sie gewinnen und den besten Dessertwein in den Fässern haben, den sizilianischer Boden hervorzubringen vermochte.
Ja, er war stolz auf den Wein seiner Familie und stolz auf die Auszeichnungen, die sie errungen hatten. Es gab keinen Grund, ihr das zu verheimlichen. Er wandte sich zu Isabel. „Sie haben jetzt alles gesehen. Zeit zu fahren.“
„Ich war noch nicht im ersten Stock.“
Was sollte er sagen? Sie werden es nicht mögen? So, wie er sie inzwischen einschätzte, wäre das eine Garantie dafür, dass sie es dann umso schöner finden würde. Das Schlafzimmer, das von der Küche abging und in dem früher die Dienstboten geschlafen hatten, hatte sie noch gar nicht gesehen, und er würde es ihr ganz gewiss nicht zeigen. Stattdessen stieg er die enge Treppe nach oben, Isabel folgte dicht hinter ihm. Dann standen sie in dem kleinen Raum mit dem Eisenbett und der schmalen, durchhängenden Matratze. Und zur Krönung: einem gähnenden Loch in der Decke.
„Hier sind einige größere Arbeiten nötig“, sagte er. Als könnte sie das nicht selbst sehen. Niemand, der noch alle fünf Sinne beisammen hatte, würde einem Loch im Dach etwas Positives abgewinnen. Sie schon.
„Warum?“, fragte sie. „Solange es nicht regnet, ist es nachts bestimmt wunderbar, den Sternenhimmel zu betrachten.“
Er seufzte leise. Es wäre sinnlos, ihr zu sagen, dass die Fledermäuse hereinflogen. Wahrscheinlich würde sie sie herzlich willkommen heißen. Noch nie hatte er so eine Frau wie sie getroffen. Auf ganz Sizilien gab es keine Frau, die es akzeptieren würde, unter solchen Umständen zu leben. Was war mit ihr los? War sie wirklich so tüchtig oder nur stur und unrealistisch?
„Ich weiß, dass hier viel gemacht werden muss“, sagte sie mit einer Spur von Trotz in der Stimme. „Ich weiß, dass es hier kein fließendes Wasser gibt und keinen elektrischen Strom, aber wie gesagt, ich fürchte mich nicht davor loszulegen und zu schuften. Und ich möchte jemanden anstellen, der mir hilft.“
„Das wird nicht leicht“, antwortete Dario. Was stimmte. Alle arbeitsfähigen Männer waren in den Weinbergen beschäftigt. „Im Augenblick sind alle mit der Ernte zugange.“
„Dabei fällt mir ein, dass ich gern noch die Weinberge sehen würde.“ „Natürlich.“ Das, dachte Dario, könnte die Sache beschleunigen. Sie würde sehen, wie verdorrt die Weinstöcke waren.
Sie stiegen die Treppe wieder hinunter und traten hinaus in das heiße Sonnenlicht. Dario führte sie die Wege zwischen den alten Stöcken hindurch. Er ging hinter ihr her und bemerkte, wie verlockend ihre Hüften bei jedem Schritt hin und her schwangen; er sah, wie feine Schweißperlen sich in ihrem Nacken sammelten, und bewunderte wider Willen ihr rotgoldenes Haar, das sie zurückgebunden hatte
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