Küsse im Mondschein
selbst erscheinen, sondern einfach einen Stallknecht mit dem Pferd vorbeischicken, um kühle, vernünftige Distanz zu wahren.
Kühle, vernünftige Distanz war aber nun so gar nicht das, was Amanda wollte.
Aber sie konnte auch nicht noch einmal bei Mellors erscheinen, nicht, nachdem Dexter ihr so eindringlich davon abgeraten hatte. Mal ganz abgesehen davon, dass es außerordentlich dumm von ihr wäre, dort zum wiederholten Male aufzutauchen, denn damit würde sie doch viel zu deutlich ihre Absichten erkennen lassen. Und davon wäre er sicherlich auch gar nicht begeistert...
Dieser Gedanke löste einen anderen aus, dicht gefolgt von noch wieder einem anderen; und plötzlich wusste Amanda genau , wie sie sich ihren Löwen gefügig machen könnte.
»Gestern Abend Mellors - heute Abend Lady Hennessys Salon. Sag mal, hast du jetzt völlig den Verstand verloren?« Durch das trübe Halbdunkel im Inneren der Kutsche funkelte Reggie Amanda wütend an. »Wenn meine Mutter herausfindet, dass ich dich in eine solche Spelunke begleitet habe, wird sie mich auf der Stelle enterben!«
»Sei nicht albern.« Begütigend tätschelte Amanda sein Knie. »Sowohl deine als auch meine Mutter glauben, dass wir uns mit den Montacutes in Chelsea treffen. Warum also sollten sie plötzlich auf den Gedanken kommen, dass wir ganz woanders sind?«
Im Laufe der Jahre waren sie und Reggie, oft auch im Verein mit Amelia, dazu übergegangen, ihre eigene Auswahl unter den in den vornehmen Londoner Kreisen angebotenen Festen und Veranstaltungen zu treffen. Da ihre Wahl nicht immer mit der ihrer Eltern übereinstimmte, gingen sie folglich in zunehmendem Maße ihrer eigenen Wege. Doch selbst die übelsten Klatschmäuler in der Stadt konnten daran keinen Anstoß nehmen; es war schließlich allgemein bekannt, dass Reggie Carmarthen und die Cynster-Zwillinge einander schon von Kindesbeinen an kannten.
Und dieses Arrangement brachte für alle Beteiligten Vorteile mit sich. Die Zwillinge gewannen auf diese Weise einen angenehmen und äußerst willkommenen Begleiter, den sie um den kleinen Finger wickeln konnten; Reggie wiederum verschaffte es eine Atempause von den Müttern, die andernfalls seine Mutter dazu drängen würden, ihn zu bitten, ihre affektierten Töchter zu begleiten. Und beide Elternpaare konnten sich behaglich zurücklehnen in dem beruhigenden Bewusstsein, dass ihre Sprösslinge sicher aufgehoben waren.
Nun ja, einigermaßen sicher.
»Und du brauchst auch nicht unentwegt so zu tun, als ob ein Besuch bei Lady Hennessy mich ruinieren würde.«
»Aber natürlich wird er das! Du bist schließlich noch nicht verheiratet !« Reggies Ton ließ darauf schließen, dass dieses Ereignis für seinen Geschmack gar nicht früh genug eintreten konnte. »Jede andere Dame dort wird es aber vermutlich schon seit längerer Zeit sein.«
»Das spielt doch überhaupt keine Rolle. Ich bin dreiundzwanzig, Herrgott noch mal, ich bin vor sechs Jahren in die Gesellschaft eingeführt worden. Kein Mensch würde ernsthaft glauben, dass ich noch ein naives, unschuldiges junges Ding bin.«
Reggie stieß einen erstickt klingenden Laut aus, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich in die Polster zurückfallen. Er sagte nichts mehr, als die Kutsche sich in die Kolonne einreihte, die zu der diskret beleuchteten Tür des Hauses Gloucester Street Nr. 19 hinaufzog.
Schließlich hielt die Kutsche an. Mit verkniffener Miene sprang Reggie auf das Straßenpflaster und half dann Amanda beim Aussteigen. Amanda ordnete ihre Röcke und blickte zur Haustür hinauf. Neben dem Eingang stand ein Lakai in Livree. Reggie reichte ihr seinen Arm. »Du brauchst es nur zu sagen, und dann gehen wir wieder.«
»Vorwärts, Horatio!«
Reggie murrte zwar, kam Amandas Aufforderung jedoch nach und führte sie die Treppe hinauf. Er nannte dem Lakaien ihrer beider Namen. Augenblicklich schwang die Tür auf, und der Lakai geleitete sie unter Verbeugungen ins Innere des Hauses. In der mit Marmorplatten ausgelegten Eingangshalle blieb Reggie stehen und blickte sich neugierig um, während Amanda ihren Umhang einem sehr korrekt aussehenden Butler übergab.
»Wollte immer schon mal wissen, wie dieser Ort hier von innen aussieht«, vertraute Reggie Amanda leise an, als diese sich wieder zu ihm gesellte.
»Sieh mal einer an!« Sie ergriff seinen Arm und zog ihn in Richtung des Empfangszimmers. »Du hast also bloß darauf gewartet, dass ich dir einen glaubwürdigen Vorwand liefere, um
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