Küsse im Mondschein
hierherzukommen.«
»Hm!«
Sie betraten das Empfangszimmer, blieben stehen und schauten sich erst einmal um.
Zwischen Lady Hennessy und Mellors lagen Welten - während bei Mellors das Ambiente eine eindeutig maskuline Prägung aufwies, herrschte hier der stilsichere Geschmack einer Dame. Die Wände waren mit cremefarbener Seide bespannt, die ein kunstvolles türkisfarbenes Muster aufwies. Die Farbkombination aus Creme, Gold und Türkis fand sich auch in dem aus gestreiftem Brokat bestehenden Bezugsstoff von Sofas und Sesseln wieder und in den schweren Vorhängen, die die hohen Fenster verhüllten. Teure chinesische Teppiche bedeckten den Fußboden und dämpften das Klappern von modischen Stöckelschuhen.
Lady Hennessy, reiche Witwe eines Angehörigen des schottischen Hochadels, hatte irgendwann beschlossen, ihr eigenes Leben und das eines Großteils der Hautevolee in Schwung zu bringen, indem sie einen Salon in der Tradition des vorigen Jahrhunderts gründete. Ihre Räumlichkeiten waren mit einem ausgeprägten Sinn für Komfort und modische Eleganz eingerichtet; die Erfrischungen, die Ihre Ladyschaft anbot, waren stets vom Feinsten. Und was das Spielen anging - an den wenigen Abenden, an denen Glücksspiele erlaubt waren, waren die Einsätze den Gerüchten zufolge geradezu astronomisch hoch.
In der Hauptsache jedoch konzentrierte Lady Hennessy sich darauf, für eine Form der Unterhaltung zu sorgen, die unter Garantie die blaublütigsten Draufgänger und Lebemänner der Stadt anlockte. Dies wiederum bot quasi die Gewähr dafür, dass auch die stets auf Zerstreuung bedachte Crème de la Crème der verheirateten Damen anwesend war, was letztendlich wiederum sicherstellte, dass jeder vornehme Lebemann, der dieser Bezeichnung würdig war, immer wieder in die Gloucester Street zurückkehrte. Die besondere Begabung Ihrer Ladyschaft lag also darin, die Verbindung zwischen ihren beiden Hauptgruppen von Gästen zu erkennen und zu fördern. Es gab ein ausgezeichnetes Streichquartett, das gedämpft in einer Ecke des Salons spielte, und die Beleuchtung - erzeugt von diversen großen und kleinen Lampen, Wandleuchten und Kandelabern - schuf Inseln aus weichem Licht und Schatten, die dem diskreten Streben nach Leidenschaft und pikanten Abenteuern weitaus mehr dienlich waren als das grelle Licht eines Kronleuchters.
Man munkelte, dass es noch andere Räume gäbe, welche gelegentlich für spezielle Partys im privaten Kreis zur Verfügung gestellt wurden. Obgleich ziemlich neugierig, war Amanda sich sicher, dass sie derartige Veranstaltungen nicht würde mitmachen müssen. Denn für ihre speziellen Zwecke sollten Lady Hennessys für alle Gäste zugänglichen Räumlichkeiten eigentlich mehr als ausreichend sein.
Reggie runzelte irritiert die Stirn. »Ziemlich ruhig hier, findest du nicht? So gar nicht das, was ich erwartet hatte.«
Amanda musste sich ein Lächeln verkneifen. Offenbar hatte Reggie eine Mischung zwischen einem Bordell und einem Wirtshaus erwartet. Und dennoch - obgleich die elegant gekleidete Menge der Anwesenden mit ruhigen, wohl modulierten Stimmen plauderte, obgleich das gedämpfte Gemurmel, das vergnügte Glucksen und leise Lachen eindeutig von Wohlerzogenheit und Kultiviertheit zeugten, war der Tenor der Bemerkungen, die Spannung, die zwischen sich angeregt miteinander unterhaltenden Paaren knisterte, alles andere als harmlos. Und was die Blicke anbetraf, die gewechselt wurden, so hätten einige davon regelrecht Kohlen in Brand stecken können.
Almack war der Heiratsmarkt der vornehmen Gesellschaft; Lady Hennessy war ein Markt etwas anderer Art, obwohl hier sowohl Käufer als auch Verkäufer derselben Schicht entstammten, die auch bei Almack anzutreffen war. Es hieß, dass während der Ballsaison Abend für Abend mehr blaublütige männliche Wesen in der Gloucester Street anzutreffen waren als an jedem anderen Veranstaltungsort der Hauptstadt.
Nachdem Amanda sich einen erschöpfenden Überblick über die Gäste verschafft hatte, konnte sie erleichtert feststellen, dass sich unter den Anwesenden niemand befand, dem sie lieber aus dem Weg gegangen wäre - zum Beispiel hatte sie hier keinen der alten Kumpane ihres Vaters entdeckt oder gar jemanden aus dem Bekanntenkreis ihrer Mutter oder etwa einen der Freunde ihrer Cousins. Das war ihre einzige Sorge gewesen, als sie sich diese Strategie zurechtgelegt hatte. Derart beruhigt, entspannte Amanda sich und wandte ihre Gedanken dem unmittelbar nächsten Schritt
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