Küsse im Mondschein
einer Grimasse. »Stimmt schon.« Dann deutete er mit einer knappen Kopfbewegung in Richtung der Kutsche. »Und - wird er es schaffen?«
»Mit etwas Glück schon. Aber die Wunde muss gereinigt werden. Und wir müssen ihn möglichst rasch ins Warme bringen.« Martin ließ den Blick über die Landschaft schweifen; schweigend und menschenleer schloss sie sich um sie. »Innerhalb der nächsten paar Stunden sinkt die Temperatur hier rapide ab.«
Nachdem er den Mann nach seinem Namen gefragt hatte - er hieß Onslow -, bat Martin Amanda, wieder aus der Kutsche auszusteigen. »Onslow wird auf Reggie aufpassen, während ich fahre.«
Etwas verwirrt kletterte Amanda heraus und legte dann verwundert die Stirn in Falten, als Martin die Tür hinter Onslow schloss. »Und was ist mit mir?«
Dexter führte sie zu seiner Karriole. »Das sind zwar nicht meine Pferde, aber ich habe sie hart rangenommen. Sie sind also schon recht erschöpft und sollten sich einigermaßen gut führen lassen. Meinst du, du kommst mit ihnen zurecht?«
Amanda starrte ihn an. »Du willst, dass ich die lenke?«
»Normalerweise natürlich nicht, nein. Aber wenn wir sie nicht die ganze Nacht über draußen lassen wollen, ist das die einzige Möglichkeit, denn ehe die Sonne wieder aufgeht, wird es hier erst mal noch Nachtfrost geben. Außerdem mussten die Tiere bereits über mehrere Stunden hinweg rennen und sind noch immer nicht trockengerieben worden.«
Erst in diesem Moment fiel Amanda auf, wie kalt es bereits war. »Wo befinden wir uns denn hier überhaupt? Und bis wohin müssen wir noch?«
Martins ohnehin schon grimmige Miene wurde noch düsterer. »Wir befinden uns hier im Gebiet von Peak - das liegt bereits recht hoch, folglich ist es kalt. Und im Verlaufe dessen, was von dieser Nacht noch übrig ist, wird es, wie gesagt, sogar noch kälter werden.« Er atmete einmal tief durch, dann blickte er Amanda fest in die Augen. »Reggie ist noch nicht außer Lebensgefahr. Wenn wir die Wunde behandeln und ihn warm halten - mit etwas Glück wird er es dann schon schaffen. Aber der Schock in Verbindung mit dem Blutverlust und der ziemlich bissigen Kälte, die sich hier nachts über das Land legt... Wir müssen ihn sobald wie möglich irgendwo unterbringen.«
Amanda hatte den vagen Eindruck, dass Martin sich mit seinen aufmunternden Worten eher selbst überzeugen wollte. »Also gut. Wo...?«
Plötzlich wurde Amanda sich bewusst, dass Martin offenbar sehr genau wusste, wo sie sich hier gerade befanden - und mit einem raschen Nicken in Richtung der nach Westen verlaufenden Straße bestätigte er ihr dies denn auch prompt: »Wir werden in der Richtung fahren.« Damit packte er sie um die Taille und hob sie auf den schmalen Kutschbock der Karriole. Amanda ordnete ihre Röcke; unterdessen löste er die Zügel aus ihrer Befestigung und reichte sie zu Amanda hinauf. »Du kannst doch wohl mit einem Zweiergespann umgehen, oder?«
»Natürlich!« Entschlossen ergriff Amanda die Zügel.
»Dann fahr hinter mir her, aber halte dabei mindestens zehn Meter Abstand. Nur für den Fall, dass ich noch einmal plötzlich bremsen muss.«
Als Martin sich abwandte, fragte Amanda ihn rasch noch: »Und was ist unser Ziel?«
Martin drehte sich nicht um, während er zu seiner Kutsche zurückging. »Hathersage.« Nach zwei weiteren Schritten ergänzte er: »Mein Zuhause.«
Bei Tageslicht hätte die Fahrt kein großes Problem dargestellt; bei dem wechselhaften Mondlicht jedoch, das zurzeit herrschte, fiel es Amanda schwer, die erschöpften Pferde hinter der Kutsche herzutreiben. Jede Faser ihres Körpers schien bis aufs Äußerste angespannt. Wenigstens war die Landstraße, die stetig nach Westen führte, recht breit. Mal neigte sie sich tief in eine Senke hinab, dann stieg sie wieder ein Stückchen an, schlängelte sich aufwärts und abwärts zwischen den von kleinen Wäldchen bewachsenen Hügeln hindurch.
Schließlich kamen sie an einen Fluss. Langsam und vorsichtig lenkte Martin die schwere Reisekutsche über eine steinerne Brücke und fuhr dann weiter nach Norden. Amanda folgte ihm, drängte die Tiere immer weiter voran. Die abgemagerten Mietpferde folgten Amandas Befehlen leider nicht so gehorsam, wie sie es sich gewünscht hätte, doch immerhin schaffte sie es, die Klepper weiter auf Trab zu halten.
Endlich erreichten sie ein verschlafenes Dörfchen, dessen weit verstreut liegende kleine Häuser etwas abseits der Straße standen. Am Ende des Dorfes ragte eine Kapelle auf.
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