Küsse im Mondschein
von Leopold verabschiedete, versetzte Martin sich im Geiste eine Ohrfeige. Er hatte ihr gerade verraten, dass er sie beobachtet hatte - und das sogar schon eine ganze Weile.
Als Gastgeber durfte Leopold seinem Ärger nicht mit Worten Ausdruck verleihen, aber der Blick, den er Martin zuwarf, als sie auseinandergingen, besagte, dass er nicht gewillt war, sich so einfach abschütteln zu lassen, sondern zurückkommen würde. Um Amanda wieder von Martins Seite wegzulocken. Denn nichts bereitete Leopold mehr Vergnügen, als mit einem Gleichrangigen die Klingen zu kreuzen.
Martin reichte ihr seinen Arm; Amanda legte ihre Hand auf seinen Ärmel.
»Kennt Ihr Mr. Korsinsky gut?«, wollte sie wissen.
»Ja. Ich habe geschäftliche Interessen in Russland.« Und die Mitglieder von Leopolds Familie gehören zu den übelsten Gaunern und Betrügern des gesamten Landes, fügte er im Stillen hinzu.
»Ist er...« - sie machte eine vage Handbewegung - »vertrauenswürdig? Oder sollte ich ihn mit den gleichen Augen sehen wie die beiden anderen, äh... Herren, die er mir vorgestellt hat?«
Martin wollte sogleich antworten, konnte sich allerdings gerade noch bremsen - und entspannte sich dann wieder, denn sie wusste ja schließlich bereits, dass er die Szene von vorhin beobachtet hatte. »Leopold hat so seinen ganz eigenen Begriff von Ehre, aber der deckt sich nicht immer mit der Vorstellung der Engländer. Ich weiß noch nicht einmal genau, ob seine Art von Ehre überhaupt noch in die Kategorie ›zivilisiert‹ fällt. Es wäre also klüger, ihn so zu behandeln, wie Ihr es auch mit den beiden anderen tun würdet.« Er hielt einen Moment inne, dann fügte er in weniger gedehntem, bedächtigem Ton hinzu: »Mit anderen Worten, Ihr solltet ihnen besser aus dem Weg gehen.«
Um ihre Lippen zuckte es amüsiert. Sie schaute zu ihm auf. »Nun ja, aber wisst Ihr, ich bin doch kein siebenjähriges Mädchen mehr.«
Martin fing ihren Blick auf. »Und Leopold und die beiden anderen sind keine achtjährigen Jungs mehr.«
»Und Ihr?«
Sie waren unterdessen immer langsamer durch den Raum geschlendert. In einiger Entfernung vor ihnen winkte eine Dame, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Martin sah das Winken wohl, reagierte aber nicht darauf, da er vollauf damit beschäftigt war, das zu ihm emporgewandte Gesicht zu betrachten - es hätte das eines Engels sein können, nur dass es dafür viel zu viel Vitalität ausstrahlte. Er holte tief Luft, dann löste er seinen Blick von Amandas Gesicht und schaute nach vorn. »Ich, meine Liebe, lasse mich nicht so leicht in Kategorien pressen.«
Amanda folgte seinem Blick, und die Kluft, die sich für den Bruchteil einer Sekunde zwischen ihnen aufgetan hatte, löste sich wieder in nichts auf. Gewandt gingen sie zu unverbindlicher Konversation über und blieben stehen, um mit einer Gruppe von Gästen zu plaudern, deren Bekanntschaft sie bereits bei Lady Hennessy gemacht hatten.
Martin war voll und ganz damit zufrieden, einfach nur neben Amanda zu stehen und sich von ihrer Lebhaftigkeit unterhalten zu lassen. Sie war selbstsicher, gelöst, witzig und überaus schlagfertig und bog sogar recht geschickt eine hinterhältige Frage ab, was ihrer beider Freundschaft anbetraf. Die Damen in der Gruppe waren fasziniert und neugierig. Die Gentlemen genossen ganz einfach ihre Gesellschaft, betrachteten ihr Gesicht, ihre Augen, horchten auf ihr melodiöses Lachen.
Er, Martin, tat das Gleiche, allerdings aus einem anderen Grund; er versuchte nämlich, hinter Amandas Fassade zu blicken. Er hatte gespürt, wie sie während jenes kurzen, spannungsgeladenen Augenblicks plötzlich schneller geamtet hatte, wie sich ihre Finger auf seinem Arm mit einem Male verkrampft hatten. Er hatte nochmals versucht, sie zu warnen. Kaum allerdings, dass er die Worte ausgesprochen hatte, sie selbst gehört hatte, da sah er - wenn auch nur für einen so winzigen, so flüchtigen Augenblick, dass er sich selbst nicht ganz sicher war, ob er überhaupt richtig hingeschaut hatte -, wie hinter Amandas fein geschnittenen Zügen eine eiserne Hartnäckigkeit aufblitzte. Und erst da war ihm der Gedanke gekommen, dass sie jene Worte vielleicht auch anders interpretieren könnte.
Sie womöglich gar als Herausforderung auffassen könnte.
Schließlich war sie ja auf der Suche nach Spannung und Abenteuer.
Er beobachtete das Mienenspiel, das sich auf ihrem Gesicht abzeichnete, den ständig wechselnden Ausdruck in ihren blauen Augen, vermochte aber
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