Küsse im Morgenlicht
erhaschen, die durch die unter ihm liegende Eingangshalle eilte und auf die große Haupttreppe zustrebte - in den Händen hielt sie ein gut gefülltes Tablett mit allerlei kleinen Häppchen. Luc klopfte an die Holzpaneele; erst als Minerva Ashford ihn mit freundlicher Stimme zum Eintreten aufforderte, öffnete er die Tür.
Seine Mutter hatte es sich auf einer Chaiselongue ein wenig gemütlich gemacht, richtete sich aber bereits wieder auf und ordnete die Kissen in ihrem Rücken.
Sie war noch immer eine wunderschöne Frau, obwohl ihre ursprünglich dramatischen Farben - das schwarze Haar, die helle Haut und jene dunkelblauen Augen, wie auch Luc sie hatte - mit der Zeit allesamt ein wenig an Leuchtkraft eingebüßt hatten. Dennoch lag in ihrem Lächeln, schimmerte in ihren Augen auch weiterhin so ein gewisser, nur schwer zu beschreibender Reiz, der seine Wirkung auf die Gentlemen in ihrer Gesellschaft nie verfehlte, sodass diese beim Anblick von Lucs Mutter zumeist sofort danach strebten, ihr in irgendeiner Weise zu Diensten zu sein. Dies war eine Gabe, derer sich seine Mutter zwar durchaus bewusst war, die sie aber - zumindest, soweit Luc dies beurteilen konnte - selbst nach dem Tod seines Vaters nie ausgenutzt hatte. Im Übrigen hatte Luc ohnehin nie verstanden, was seine Eltern eigentlich aneinander gebunden hatte, denn seine Mutter war zweifellos klug und besaß ein ordentliches Maß an gesundem Menschenverstand. Trotzdem hatte sie ihrem Ehemann unverbrüchlich die Treue gehalten, einem trägen Taugenichts, der nicht nur zu Lebzeiten wenig Ansehen genossen hatte, sondern über den man selbst nach seinem Tode bloß mit verächtlichem Unterton sprach.
Als Minerva ihren Sohn sah, hob sie fragend beide Brauen. Er lächelte, trat noch einen Schritt vor und hielt Mrs. Higgs die Tür auf, die ihm dankbar kurz zunickte und dann an ihm vorbeieilte, um das Tablett auf dem tiefen Tischchen vor der Chaiselongue abzusetzen.
»Ich habe vorsichtshalber gleich zwei Tassen mitgebracht, und die kleinen Kuchen dürften sicherlich auch ausreichend sein - oder wünscht Ihr eventuell sonst noch irgendetwas, M’lord?«
Luc ließ flüchtig den Blick über die leckere kleine Mahlzeit schweifen, die Mrs. Higgs mit einigen geschickten Handgriffen auf dem Tischchen arrangierte. »Danke, Mrs. Higgs, aber ich habe keinerlei Wünsche. Was hier angerichtet steht, reicht vollkommen aus.«
Auch seine Mutter bedachte die Haushälterin mit einem freundlichen Lächeln. »In der Tat, vielen Dank, Mrs. Higgs. Und was das Abendessen betrifft, das wir besprochen hatten - wie geht es denn da mit den Vorbereitungen voran, läuft alles wie geplant?«
»’türlich, Ma’am.« Mrs. Higgs richtete sich auf und schenkte Luc und seiner Mutter ein herzliches Grinsen. »Es geht alles seinen vorschriftsmäßigen Gang. Die Welt ist also in bester Ordnung.«
Mit dieser leicht triumphierenden Schlussbemerkung knickste Mrs. Higgs flüchtig und huschte dann aus dem Raum hinaus, wobei sie vorsichtig die Tür hinter sich schloss.
Das Lächeln von Lucs Mutter wurde noch eine Spur herzlicher; sie streckte ihrem Sohn die Hand entgegen, Luc umfasste ihre Finger und spürte, wie sie sie einmal fest drückte. »So fröhlich schwirrt sie nun schon den ganzen Tag durchs Haus. Als ob sie wieder achtzehn wäre.« Damit hob Minerva den Blick zu Lucs Gesicht empor und fuhr fort: »Du allein hast uns allen durch die schwere Zeit hindurchgeholfen, mein Sohn - habe ich dir eigentlich schon einmal gesagt, wie stolz ich auf dich bin?«
Luc schaute hinab in ihre liebevoll blickenden Augen. Auch er strahlte über das ganze Gesicht, war angesichts der guten Neuigkeiten fast schon euphorisch gestimmt. Trotzdem machte das Lob seiner Mutter ihn verlegen, nur mit Mühe konnte er den Impuls unterdrücken, aus lauter Verlegenheit mit den Füßen zu scharren und wie ein Schuljunge den Kopf zu senken. Letztendlich aber gewann seine Selbstbeherrschung die Oberhand, sodass er Minervas Lächeln entspannt erwiderte, ihr rasch die Hand drückte, sie dann sogleich wieder aus seinen Fingern entgleiten ließ und mit einer wegwerfenden Handbewegung erwiderte: »Keiner von uns ist erleichterter, als ich es bin.«
Damit setzte er sich in den Lehnsessel, der der Chaiselongue gegenüber stand.
Minervas kluger, scharfer Blick schweifte einmal kurz über Lucs Gesicht, dann griff sie nach der Teekanne. »Ich habe Robert eingeladen, heute Abend mit uns zusammen zu essen. Das war eine gute Idee von dir,
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