Küsse im Morgenlicht
neben Minerva, schaute sich aber unablässig um. Der Saal war gut gefüllt, doch nirgends sah er diesen gewissen, ihm schon so vertrauten Blondschopf mit den tanzenden Locken.
Hinter ihm und Minerva tauschten Emily und Anne gerade atemlos die neuesten Vertraulichkeiten mit Annes bester Freundin, Fiona Ffolliot, aus. Fiona war die Tochter eines Nachbarn der Ashfords in Rutlandshire; das Gut ihres Vaters grenzte unmittelbar an das Hauptanwesen von Luc. Sie war mit ihrem verwitweten Vater nach London gekommen, um zumindest einen Teil der Ballsaison mitzuerleben - die beiden wohnten unterdessen bei General Ffolliots Schwester in Chelsea. Und obwohl Fionas Familie durchaus gut situiert war, hatte sie doch nur wenig gesellschaftliche Kontakte. Minerva hatte also angeboten, Fiona gemeinsam mit Emily und Anne zu dem Ball der Mountfords mitzunehmen. Auf diese Weise sah Fiona ein wenig mehr von der Londoner Gesellschaft und wurde wiederum auch selbst mehr gesehen.
Luc hatte der Idee seiner Mutter zugestimmt. Zumal Anne, die stets ein wenig ängstlich und scheu war, durch Fionas ungekünsteltes und temperamentvolles Wesen etwas an Selbstvertrauen gewann; und Emily wiederum, die ein Jahr älter war als Anne, wurde durch Fionas Anwesenheit ein wenig von ihrer Verantwortung für die jüngere Schwester entbunden. Im Übrigen sah es ganz danach aus, als ob Emily zum Ende der Saison einen Antrag von Lord Kirkpatrick erhalten sollte. Sie waren zwar beide noch recht jung, doch es wäre eine überaus passende Verbindung, die von beiden Familien mit großem Wohlwollen betrachtet wurde.
Die Schlange der Gäste rückte langsam voran, als Lucs Mutter sich zu ihrem Sohn hinüberneigte und mit gedämpfter Stimme, sodass kein anderer sie hören könnte, zu ihm sagte: »Ich glaube, unser Abendessen war ein voller Erfolg. Und es war eine gute Gelegenheit, um einen Schlussstrich unter unsere einstige, missliche Situation zu ziehen.«
Luc hob eine Braue. »Du meinst, ehe wir das Thema endgültig für begraben erklären.«
Minerva lächelte und wandte den Blick wieder von ihm ab. »Ganz genau.«
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Trotzdem werde ich auch weiterhin Roberts Büro aufsuchen - ich habe nicht vor, mein Interesse an unseren finanziellen Unternehmungen plötzlich wieder aufzugeben.«
Minerva sah ihren Sohn mit großen Augen an, dann lächelte sie und klopfte ihm anerkennend auf den Arm. »Nun denn, wenn dir diese Finanzspielereien tatsächlich so viel bedeuten, dann wäre ich bestimmt die Letzte, die dich daran hindern würde, Liebling. Schließlich geht es dir bei diesen Unternehmungen ja nicht ums Geldausgeben, sondern - ganz im Gegenteil - ums Geldverdienen.«
Das leise Lachen, das in ihrer Stimme mitschwang, das durch nichts mehr getrübte Funkeln in ihren Augen und überhaupt die ganze Art und Weise, wie ihre Stimmung sich in nur einem einzigen Tag merklich gehoben hatte, zeigten Luc, dass es all die harte Arbeit wert war. Dann geleitete er seine Mutter weiter, um die Mountfords zu begrüßen. Leise raschelten hinter ihnen die Roben von Emily und Anne, die ihrem Bruder und ihrer Mutter folgten. Und mit einem Mal erkannte Luc, dass er ein wahrhaft glücklicher Mann war - und dies trotz der Entbehrungen der vergangenen Jahre, trotz der Bemühungen seines Vaters sowie den noch nicht ganz so lange zurückliegenden Anstrengungen seines Bruders, ihm all dies zunichtezumachen.
Und es schien ganz so, als würde sein Glück schon bald vollkommen sein. Dieser Gedanke hallte noch einen Moment in seinem Hinterkopf nach, als er seine Mutter auf einer Chaiselongue neben Lady Horatia Cynster - Amelias Tante - platzierte und dann endlich auch seine zukünftige Braut in der Menge entdeckte. Sie hatte offenbar noch gar nicht bemerkt, dass er ebenfalls hier war, und wirbelte gerade in einem volkstümlichen Tanz durch den Ballsaal. Mit hüpfenden Locken und einem strahlenden Lächeln blickte sie zu Geoffrey Melrose, ihrem Tanzpartner, auf. In Luc dagegen rief dieser Anblick ein leichtes Missfallen hervor.
Auch seine Schwestern und Fiona hatten bereits ihre Tanzpartner gefunden und wirbelten ebenfalls quer durch den Ballsaal. Luc richtete den Blick fest auf Amelia, wartete...
Endlich drehte sie den Kopf, sah ihn - und ließ prompt den nächsten Schritt aus. Rasch wandte sie den Blick wieder von ihm ab und passte sich erneut dem Rhythmus des Tanzes an. Sie schaute nicht noch einmal in seine Richtung. Nachdem der Kotillon geendet hatte,
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