Küsse im Morgenlicht
die erste Rakete in den Abendhimmel hinauf. Amelia bewunderte den Funkenregen, warf unterdessen aber auch noch einen prüfenden Blick zur Seite auf Helenas Gesicht, das von dem Strahlen am Himmel kurz angeleuchtet wurde. Auf den Zügen ihrer Tante spiegelte sich jedoch nur deren hochmütige Verachtung für Lucs Sorgen … bis Amelia spürte, wie die Herzoginwitwe ihr heimlich triumphierend die Hand drückte.
Lächelnd wandte Amelia ihre ganze Aufmerksamkeit wieder dem Feuerwerk zu und entspannte sich - zumindest für einige wenige Augenblicke.
Keiner der Gäste bemerkte, wie der Gentleman, dem Amelia und Portia etwas früher am Abend begegnet waren, langsam seine Finger um den Ellenbogen einer jungen Dame schloss. Alle sahen allein zu dem Feuerwerk empor. Und niemand beobachtete, wie die junge Frau sich abrupt umdrehte und pures Entsetzen sich in ihren Augen spiegelte. Der Mann aber nickte nur schweigend der Begleiterin seines Opfers zu, die überhaupt nichts von dessen Absichten zu ahnen schien und den Blick rasch und wie verzaubert wieder zu dem spektakulären Farbenspiel am Himmel hob.
Abermals zog er auffordernd am Arm seiner unfreiwilligen Komplizin. Vorsichtig löste die verängstigte junge Frau ihre Hand aus der Armbeuge ihrer Freundin. Diese war auch weiterhin ganz gefangen von der Schönheit einer gerade aufsteigenden Rakete und nahm kaum wahr, wie ihre Begleiterin sich von ihr zurückzog. Einen Moment lang stand die junge Dame unschlüssig da, fügte sich dann jedoch, wenngleich mit offensichtlichem Widerwillen, dem wortlosen Befehl des Mannes und wich zurück. Die Gäste machten ihr Platz, ohne wirklich hinzuschauen, wer sich da an ihnen vorbeidrängte, und schließlich hatte der Unbekannte die junge Frau ganz aus der Menge gelöst und sie bis dicht an die Hauswand gezerrt, wo sie beide von den tiefen Schatten verschluckt wurden.
Verstohlen schaute sie sich um, blickte nach rechts und nach links. »Hier können wir nicht miteinander sprechen!« Ihre Stimme war kaum mehr als ein hohes, atemloses Wispern. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu.
Kirby blickte ihr ins Gesicht. Seine eigenen Züge wirkten hart und vollkommen gefühllos. Dann beugte er sich zu ihr hinab, und sie hörte seine leise Erwiderung: »Vielleicht habt Ihr Recht...« Erschrocken über den drohenden Unterton in seiner Stimme hob sie den Blick. Wieder sah er ihr starr in die Augen, ließ sie ganz bewusst einen Moment lang den stechenden Schmerz der Angst fühlen. Dann murmelte er: »Sobald das Feuerwerk zu Ende ist, werden wir beide einen kleinen Spaziergang unternehmen. Wir werden uns schnell und leise in Richtung der Rosengärten verabschieden. Und damit Euer guter Ruf keinen Schaden nimmt, geht Ihr natürlich erst einmal allein voraus. Aber denkt immer daran: Ich folge Euch dicht auf den Fersen! Versucht also gar nicht erst, irgendjemanden auf Euch aufmerksam zu machen. Und betet darum, dass niemand Euch aufhält.«
Dann schwieg er einen Moment lang, musterte forschend ihr Gesicht, blickte ihr starr in die Augen - und schien befriedigt über das, was er sah. »Im Rosengarten wird uns niemand stören. Dort können wir uns unterhalten.«
Damit richtete er sich wieder auf. Die junge Dame wurde von einem heftigen Zittern befallen, blieb aber stumm und gehorsam neben ihrem Peiniger stehen.
Bis die letzte Rakete am Himmel explodierte und die Menge leise aufseufzte.
Hastig schlüpfte die junge Frau durch das Gedränge der Gäste und nutzte rasch, doch unauffällig den Augenblick des allgemeinen Umherwanderns, als die Menge sich zu zerstreuen begann und man sich darüber beriet, was man als Nächstes tun würde, um unbemerkt von der Terrasse zu verschwinden, sich durch die Zuschauermenge vor der Balustrade zu drängen und schließlich in den tiefen Schatten jenes schmalen Pfades zu verschwinden, über den man am Ostflügel entlang in den von einer Mauer umschlossenen Rosengarten gelangte.
Das Gesicht von Kirbys Komplizin war kalkweiß, als sie den Bogengang in der Steinmauer erreichte. Ein rascher Blick zurück verriet ihr, dass ihr Peiniger ein Mann war, der sein Wort hielt. Er folgte ihr quasi auf dem Fuße. Mühsam tat sie einen tiefen Atemzug und huschte durch den Mauerbogen, ängstlich darauf bedacht, aus dem Blickfeld der Menge zu verschwinden.
Und all jenen auszuweichen, die ihr ihr schreckliches Geheimnis sonst womöglich noch an der Nasenspitze ansähen.
Als Kirby sie schließlich eingeholt hatte, wirbelte sie abrupt herum
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