Kuessen al dente - Roman
begegnet.« Georgia setzte ein versonnenes Lächeln auf und stellte sich dabei vor, was sie wohl denken würde, wenn sie die unzensierte Version erzählen würde. Sie hatte Glenn in einer Musikkneipe im East Village an der Bar entdeckt, wo er gerade für seine Kumpel und die Girls, die sie sich angelacht hatten, eine Runde ausgab. Selbst nach etlichen Cuervos noch immer der absolute Charmeur, bestellte er zwei Sex-on-the-Beach-Cocktails, ging damit zu Georgia und behauptete, ohne dabei rot zu werden, dass er seit diesem fabelhaften Sommer verzweifelt nach ihr gesucht habe. Sie wusste, dass das glatt gelogen war, was sie jedoch nicht davon abhielt, mit ihm nach Hause zu gehen.
»Kismet«, meinte Holly. »Ihr müsst füreinander bestimmt sein«, fügte sie noch hinzu, ehe sie davonglitt, um andere Gäste zu begrüßen.
»Es ist wirklich zu schade, dass er nicht mitkommen konnte«, seufzte Dorothy. »Wir haben uns so auf ihn gefreut.«
Georgia zuckte die Schultern.
»Und während der Konferenz werde ich wahrscheinlich so beschäftigt sein, dass ich keine Zeit habe, ihn in New York zu treffen.«
»Das ist aber wirklich schade«, erwiderte Georgia und biss ein Stück von dem Stangensellerie ab, der in ihrem Drink steckte. »Aber er wird es verstehen.«
»Wie ist die Bloody Mary?«, wollte Dorothy wissen.
»Gut.« Georgia ließ den Blick durch den mit Eiche vertäfelten achteckigen Raum schweifen. An den Wänden ringsum hingen nach Themen gruppierte Ölgemälde, darunter einige Landschaften, meist jedoch Pferdedarstellungen. Die dunklen Möbel waren mit edlen Damaststoffen in dezenter Streifenoptik bezogen.
Die Sessel und Stühle sehen nicht sonderlich stabil oder bequem aus, dachte Georgia gerade, als sie beobachtete, wie sich eine sehr beleibte Frau mit einem Gehstock auf einen winzigen Polstersessel fallen ließ, der besser in ein Kinderzimmer gepasst hätte. Der Sessel ächzte vernehmlich, hielt dem Gewicht jedoch tapfer stand.
Dorothy winkte dem Kellner. »Ich hätte bitte auch gern eine Bloody Mary.«
»Bist du sicher, Mom?«, erkundigte Georgia sich ein wenig verwundert. Dorothy trank so gut wie nie, und wenn, dann höchstens einmal ein Glas Chardonnay.
»Warum nicht? Es passiert ja nicht jeden Tag, dass ich meine verlobte Tochter sehe, ohne ihren Bräutigam natürlich.«
»Natürlich«, murmelte Georgia.
Der Kellner brachte den Drink, und Dorothy erhob das Glas. »Auf Glenn.«
Hal gesellte sich zu ihnen. »Trinken wir auf das zukünftige Brautpaar?«
»Nö«, antwortete Georgia. »Nur auf Glenn.«
»Na, das lässt sich ja leicht korrigieren.« Hal hob nun seinerseits das Glas. »Auf unsere Tochter Georgia und ihre bevorstehende Zwei-Gabel-Kritik. Gratuliere, Georgia.«
Dorothy kippte ein Viertel ihrer Bloody Mary auf einmal. »Huh, dieser Drink hat’s wirklich in sich.«
»Und da wir gerade dabei sind, möchte ich auch auf deine verstorbene Großmutter das Glas erheben«, Hal nickte Georgia zu, »und meine Schwiegermutter. Sie war eine wunderbare Frau, eine liebevolle Großmutter, fabelhafte Bäckerin, clevere Geschäftsfrau und eine großartige Freundin.« Seine grauen Augen bekamen einen feuchten Glanz. »Ohne dich ist es einfach nicht mehr so wie früher, Mary. Wir vermissen dich.«
»Auf Grammy.« Georgia trank einen Schluck. »Ich kann es kaum glauben, dass es schon fast ein Jahr her ist.«
»Ich frage mich immer noch, ob die Ärzte damals nicht mehr hätten tun können«, überlegte Dorothy. »Aber wenigstens ist sie bei etwas gestorben, das ihr Spaß machte.«
Georgia starrte ihre Mutter an. »Nein, hat es nicht.« Grammy hatte einen schweren Schlaganfall erlitten, als sie in ihrem Seniorenclub Tai Chi praktizierte. Der Notarzt brachte sie ins Krankenhaus, aber dort konnte man ihr nicht mehr helfen. Einige Stunden später war sie gestorben. »Das Tai Chi hat ihr keinen Spaß gemacht. Sie hat es nur angefangen, weil sie es in der Oprah-Winfrey-Show gesehen hat.«
Am späten Nachmittag nach der Schule ein Stündchen gemeinsam vor dem Fernseher zu sitzen und dabei etwas Süßes zu genießen – meistens ein Walnuss- oder Schokomuffin – gehörte
für Grammy und Georgia zum täglichen Ritual. Da Grammy gleich um die Ecke der Grays wohnte, und Dorothy und Hal beinahe rund um die Uhr arbeiteten, war sie für Georgia Vater- und Mutterersatz in einer Person gewesen. Es war Grammy, die Georgia das Baseballspielen beigebracht hatte, die während ihrer Grundschulzeit zweimal
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