Kuessen al dente - Roman
gehalten, und jedes Mal, wenn Georgia eine interessante Stelle antrat, ließ sie es Claudia wissen. Jetzt hoffte sie inständig, dass Claudia jemanden kannte, der einen Chef suchte. Scheiß auf Brenton, Boston und Barcelona! Georgia würde nach Italien gehen.
Sie setzte sich an den Schreibtisch, fuhr ihr MacBook hoch, gab Claudias E-Mail-Adresse ein und schrieb unter Betreff: Grüße aus New York! Das klang freundlich, optimistisch und nicht verzweifelt. »Cara Claudia«, begann sie, und sprach beim Tippen den Text laut vor sich hin. » Ciao, bellissima …«
9
D as war jetzt vier Tage her. Vier lange Tage mit quälender Warterei auf eine Antwort von Claudia, während der Georgia sich ihre Zukunft langsam, aber sicher abgeschrieben hatte. Wieder linste sie auf ihre Uhr: sieben Minuten seit ihrem letzten E-Mail-Check. Sieben war okay; weniger als sieben Minuten schmeckte zu sehr nach Verzweiflung. Sie stellte ihren geeisten Kaffee an die Schreibtischkante und ließ sich in den Drehstuhl fallen, der noch aus ihrer Collegezeit stammte. Er quietschte ungnädig, als sie sich darin zu ihrem Monitor vorbeugte. Dieser Stuhl hatte in den letzten sechsundneunzig Stunden mehr an Bewegung erfahren als in seinem gesamten bisherigen Dasein. In ihrem Posteingang befanden sich die üblichen Mails, die sogleich gelöscht werden konnten: eine Einladung zum Ausverkauf in einem sündhaft teuren Schuhladen, ein Bettelbrief für ein krankes Kind in Irgendwo, ein langweiliger Witz von Clems Bruder, den diese weitergeleitet hatte, aber kein Pieps von Claudia.
Die Hochzeitsausrichter reagierten überraschend verständnisvoll auf ihr Dilemma. Anscheinend wurden sehr viel mehr Hochzeiten kurzfristig abgesagt, als man annehmen mochte. Die fetten Anzahlungen rückten die meisten allerdings nicht wieder heraus. Außer der Catering-Firma. Die Frau erklärte ihr geradeheraus, wie froh sie sei, dass Georgia nicht mit Glenn in den Ehehafen segelte. Eigentlich hätte sie sich dadurch besser fühlen sollen, doch es führte sie nur wieder zu der gleichen Frage: Warum war sie so lange mit Glenn zusammengeblieben,
wenn sogar die Cateringdame wusste, dass er nicht der richtige Mann für sie war?
Sie verkaufte ihr Brautkleid von Monique Lhuillier auf ebay an eine weniger betuchte Beverly-Hills-Braut. Brandie, die glückliche Zukünftige, scherte sich nicht um das mögliche schlechte Karma, das so ein Secondhand-Brautkleid mit sich bringen könnte, und erkundigte sich anschließend sogar noch per Mail bei Georgia, ob sie nicht auch ihren Ehering verkaufen wolle, da sie »offenbar einen suuuuper Geschmack habe«. Georgia machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. Hätte sie einen Ehering besessen, was nicht der Fall war (der Verlobungsring war schon schlimm genug), hätte sie ihn im Pfandhaus versetzt. Die größte finanzielle Einbuße war die Anzahlung für den Veranstaltungsraum, ein Loft in Chelsea mit einer Veranda ringsherum und fantastischer Sicht auf den Hudson. Damit konnte sich Glenn herumschlagen.
Das Telefon klingelte, und Georgia warf einen prüfenden Blick auf das Display. Ihre Eltern, schon wieder. Sie hatte sie in einem kurzen Telefonat über die Auflösung ihrer Verlobung informiert und nur die grundsätzlichen Fragen beantwortet. Seither riefen ihre Eltern ununterbrochen an. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein.
Das Aquarell, das sie am Tag ihres Rausschmiss’ gekauft hatte, hing an der Wand hinter ihrem Schreibtisch, in dem Rahmen, in dem noch bis vor einer Woche das Programm von Glenns College-Abschlussfeier geprangt hatte. Mrs. Tavert liebte es, die wichtigen Ereignisse im Leben ihrer Lieben zu zelebrieren und zu bewahren, ganz besonders, wenn selbige Ereignisse ihren Sohn betrafen. Jedes Familienmitglied besaß eine Kopie dieses Programms.
Wieder warf sie einen Blick auf die Uhr, stellte fest, dass
weitere sieben Minuten verstrichen waren, und kreuzte Zeige- und Mittelfinger.
»Bitte, Claudia«, murmelte sie. Sie starrte das Bild an, schloss dann die Augen und stellte sich vor, wie sie durch ein toskanisches Mohnfeld spazierte, wie ehedem Judy Garland in Der Zauberer von Oz – nur dass sie nicht einschlief. Diese TV-Psycho-Gurus behaupteten ja immer, dass der Schlüssel zum Erfolg darin liege, sich genau vorzustellen, was man wolle, und dann passiere es auch, und Georgia fand, ein Versuch könne ja nicht schaden. Und weil es sich richtig anfühlte, flüsterte sie zusätzlich: »Per favore. Per favore.«
Ein Klick.
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