Kuessen al dente - Roman
abgerungen hatte, war das Öffnen eines fassgroßen Einmachglases voller Zitronen gewesen. Sie schlürfte gerade ihren zweiten Espresso und fuhr erschrocken zusammen, als sie das Quietschen von Brunos Clogs hörte.
» Buongiorno , Georgia.« Brunos Stimme ließ den melodischen Singsang vermissen, der Italienisch zu einem Ohrenschmaus machte. »Wohin so früh?« Er lud die Espressomaschine mit frischen Bohnen und machte sich einen Kaffee. Nach der Cayenne-Attacke waren sie einander aus dem Weg gegangen. Das hier war ihre erste Begegnung.
»Joggen. Muss wieder in Form kommen.« Instinktiv klopfte sich Georgia auf den Bauch. Sie musterte Brunos Wampe, die über seine khakifarbenen Shorts hing und schaute dann weg. Bundfaltenhosen sahen an niemandem gut aus, schon gar nicht an Köchen mit überflüssigen Pfunden.
»Wir haben heute viel Arbeit. Komm nicht zu spät.«
»Natürlich nicht. Es ist erst halb sieben. In zwei Stunden stehe ich dir frisch geduscht und in Arbeitskleidung zur Verfügung. « Sie warf ihm ein falsches Lächeln zu.
»Gut.« Er schlürfte seinen Kaffee; dabei rannen ihm ein paar Tropfen übers Kinn. »Hast du dir schon Gedanken über unseren ›Signature Dish‹ gemacht, so heißt es doch bei euch, oder?«
»Was? Ach so, die Spezialität des Hauses meinst du.« Sie nickte, als hätte sie das total vergessen. »Nicht wirklich.«
Seine Miene hellte sich sichtlich auf. »Dann vergiss es. Ich habe drei unglaubliche Gerichte auf Lager und muss nur noch herausfinden, welches am besten passt.«
Georgia reckte den Daumen in die Höhe, nicht sicher, was ihr über die Lippen kommen würde, wenn sie jetzt den Mund aufmachte, und joggte zur Hintertür hinaus, wobei sie die Hähne sorgsam im Auge behielt. Nach Aussage von Claudia war eine exklusive »Spezialität des Hauses« die Grundvoraussetzung für jedes neue Restaurant, das sich in der verwöhnten Gastronomieszene der Toskana durchsetzen wollte. Insbesondere Touristen nahmen für die ultimativen Carciofi Judaica, ein Risotto ai Funghi oder auch ein Stracotto di Manzo lange Anfahrtswege in Kauf, außerdem hatten die Journalisten dann etwas, worüber sie schreiben konnten. Georgia hatte Bruno angelogen, denn in Wahrheit hatte sie sich schon viele Gedanken über dieses spezielle Gericht gemacht. Genau genommen jede einzelne Minute jeder Stunde, in der sie nicht darüber nachgedacht hatte, dass sie nicht Chefköchin und nicht mehr verlobt war. Für jeden in der Brigade der Trattoria Dia wäre es der Wurf schlechthin, dieses Gericht zu kreieren, aber es war Georgia, die Amerikanerin mit der halben Gabel, die es am nötigsten hatte. Und Bruno diese Ehre abzuluchsen, würde die Schmach, als seine Stellvertreterin zu arbeiten, beinahe wettmachen.
Eine Staubwolke hinter sich herziehend, lief sie durch das schmiedeeiserne Tor und versuchte, ein gleichmäßiges Tempo
zu halten. In der Vergangenheit war es ihr stets gelungen, sich nicht von tyrannischen Bossen, hinterhältigen Investoren und mäkelnden Gästen unterkriegen zu lassen. Ein Chef wie Bruno jedoch – einer der wild entschlossen schien, ihre Glaubwürdigkeit als Köchin zu untergraben – war eine ganz neue Herausforderung, was die Spezies Mistkerl betraf.
Auf ihrem Weg den Hügel hinauf kam sie an einem handgemalten Wegweiser zu einem etruskischen Grab vorbei. Der Pfad führte steil nach unten, machte eine scharfe Kurve, und plötzlich merkte Georgia, dass sie den Halt verlor. Sie versuchte noch Tempo rauszunehmen, doch ihr rutschten einfach die Füße unterm Körper weg. Sie verlor die Balance, und ihre Schulter krachte auf den steinigen Boden, dann die Hüfte, das Knie und ihr Kopf. Als sie die Augen aufmachte, starrte sie auf das untere Drittel eines Olivenhains – Wurzeln und Stämme, so weit ihr Blick reichte. Über ihr am Himmel kreiste eine Schar schwarzer Vögel, die sich offenbar schon auf ihr Frühstück freute. Einen Moment lang blieb sie noch liegen, dann rappelte sie sich hoch, um den Schaden zu begutachten.
Ihr Knie war aufgeschürft, die bereits nässende Wunde voller Dreck und kleiner Steinchen, und in ihrer Schulter pochte es bei jedem Herzschlag. Was konnte den Marco-Glenn-Knockout und die Degradierung zum Souschef denn auch sonst noch toppen, als so eine Bruchlandung hinzulegen? Sie klopfte sich den Staub ab und machte sich auf den schmerzhaften Rückweg zur Villa, überzeugt davon, dass Bruno die eigentliche Schuld an dem Sturz trug.
Trotz ihrer Blessuren schaffte es
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