Küssen auf eigene Gefahr
Soldaten so lange mit finsterer Miene an, bis der es schließlich merkte. Er wurde knallrot und drehte sich weg.
Catherine ging es gleich sehr viel besser. Es gab doch nichts Befriedigenderes für eine Frau, als einem Mann seine selbstzufriedene Laune zu vermiesen. Hinzu kam, dass sie sich wenigstens einen kurzen Augenblick lang alles andere als unsicher gefühlt hatte. Stattdessen hatte sie ein ungewohntes Gefühl von weiblicher Macht verspürt.
»Zeit zum Einsteigen, Leute.«
Catherine und Sam gingen an den beiden Frauen vorbei, die sie bei ihrer Unterhaltung in Gebärdensprache beobachtet hatte. Catherine sah, dass sie sich umarmten; dann fasste diejenige, die nicht wegfuhr, die andere bei den Schultern und hielt sie auf Armeslänge von sich weg. »Ich werde dich vermissen, Mary«, sagte sie mit der etwas unbeholfen und fremd klingenden Betonung Gehörloser.
Mary streckte die Hand aus und streichelte ihrer Freundin über die Wange. »Ich werde dich auch vermissen. Bis zu meinem nächsten Besuch werde ich nicht wieder soviel Zeit vergehen lassen. Das verspreche ich dir.«
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln spielte um Catherines Lippen. Perfekt.
An der Tür des Busses gab es eine kleine Auseinandersetzung. Eine ältere Frau versicherte dem Fahrer wortreich, dass sie ihre Fahrkarte noch gehabt hatte, als sie zur Frühstückspause ausgestiegen war. Hinter ihr hatte sich mittlerweile ein Stau gebildet, und die anderen Fahrgäste versuchten den Busfahrer auf sich aufmerksam zu machen, wedelten mit ihren Fahrkarten herum und drängten sich dann mehr oder weniger ungeduldig an der Frau vorbei.
Sam blieb neben der Frau stehen, die inzwischen den Tränen nahe war und verzweifelt in ihrer Handtasche wühlte. Er fasste sie sanft am Ellbogen, um sie von der Tür wegzuführen. »Holen Sie erst einmal tief Luft, Ma'am«, sagte er, als sie erschreckt zu ihm hochblickte. Dann fuhr er fort: »Gut. Ihre Fahrkarte kann ja nicht verschwunden sein. Wo stecken Sie sie denn normalerweise hin?«
»In meinen Kalender, aber da ist sie nicht!« Sie begann wieder schneller zu atmen.
»Beruhigen Sie sich, es ist alles in Ordnung. Hätten Sie etwas dagegen, wenn meine Freundin einen Blick in Ihre Handtasche wirft? Manchmal hilft es ja, wenn jemand anders sucht.«
Catherine nahm die Handtasche, die ihr die Frau mit zitternden Händen entgegenhielt. Sie zog den Reißverschluss des Innenfachs auf und prüfte den Inhalt.
»Sehen Sie auch mal in Ihren Jackentaschen nach, Ma'am«, riet Sam, während Catherine systematisch die Handtasche durchsuchte, und die Frau wurde etwas ruhiger, da sie nun etwas Sinnvolles zu tun hatte. Nichtsdestoweniger redete sie nervös weiter, während sie die Taschen ihrer Baumwolljacke durchforstete. »Ich stecke sie immer in meinen Kalender, damit ich sie gleich finde, aber als ich sie diesmal herausnehmen wollte, war sie weg... oh. Ach, du liebe Güte!« Mit einem gleichzeitig verlegenen und erleichterten Lachen zog sie die Fahrkarte aus einer der Taschen. »Da ist sie ja! Jetzt erinnere ich mich auch wieder - ich wollte sie gerade in meine Handtasche stecken, da hat mir dieser nette junge Soldat seine Hilfe beim Aussteigen angeboten, und ich habe sie in die Tasche gesteckt, damit ich mich an seinem Arm festhalten kann. Vielen Dank, junger Mann! Vielen herzlichen Dank.« Sie nahm Catherine ihre Handtasche ab. »Und auch Ihnen vielen Dank, Miss.«
Catherine kletterte hinter der Frau in den Bus. »Bilden Sie sich bloß nicht ein«, flüsterte sie Sam über die Schulter zu, »dass ich jetzt gleich anfange, Sie für einen netten Kerl zu halten, nur weil Sie einmal freundlich zu jemandem gewesen sind.« Verdammt noch mal, ich habe es lieber, wenn Schurken sich wie Schurken benehmen. Auf jeden Fall hatte sie es lieber, wenn sie nicht plötzlich eine verwirrend liebenswürdige Ader zeigten und als Retter kleiner alter Damen auftraten.
»Das würde mir nicht im Traum einfallen«, erklärte er. »Im Gegenteil, ich denke gerade darüber nach, dass ich der nächsten Oma, die mir über den Weg läuft, einen Tritt verpassen werde.«
»Das klingt schon eher nach dem Kerl, mit dem ich bislang zu tun hatte.« Sie holte tief Luft und straffte die Schultern. »Aber ich vermute, selbst Dschingis Khan hatte seine guten Momente.«
»Bravo. Ich wusste doch, dass Sie etwas finden, das zu Ihrer Meinung über mich passt, wenn Sie nur lange genug darüber nachdenken.«
In dem Augenblick, als sie ihre Plätze erreichten, fuhr der Bus
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