Küssen auf eigene Gefahr
anglotzte.
»Chains?«, Hectors Stimme quäkte aus dem Telefonhörer, der Jimmy aus der Hand geglitten war und an seiner silbernen Nabelschnur hin- und herbaumelte, nachdem er laut scheppernd auf die Metallablage geknallt war. »Chains! Was zum Teufel ist denn da los?«
»Puh!« Jimmy Chains stieß heftig die Luft aus und versuchte sich wieder zu fassen. Er angelte nach dem Hörer. »Hier steht ein Pferd.«
Argwöhnisch musterte er das braun-weiß gescheckte Tier. Es hatte erschrocken den Kopf zurückgeworfen, als Jimmy sich so plötzlich bewegt hatte und dabei mit Getöse den Telefonhörer fallen ließ, aber jetzt machte es einen langen Hals und schob sein Gesicht erneut nah an die Scheibe. »Meine Fresse, ist das Vieh riesig.« Jimmy zwang sich, den Mund zu einer Art Lächeln zu verziehen, und sagte leise und beruhigend: »Bist ein hübsches Mädchen. Braves Pferd. Und jetzt geh schön heim.« Dann fiel sein Blick auf die Zügel, die um einen Pfosten neben der Telefonzelle geschlungen waren. »Oh Mann, irgend so ein Arsch hat das Vieh hier direkt neben mir festgebunden!«
»Könntest du den bescheuerten Gaul vielleicht mal für eine Minute vergessen?«
»Das sagt sich so leicht, Boss. Zwischen mir und diesem Pferd ist nämlich nur eine ganz dünne Glasscheibe, und es steht direkt davor.« Chains zwang sich dazu, den Blick von dem kräftigen braun-weißen Schecken abzuwenden und stattdessen über die endlose Ebene schweifen zu lassen, die sich vor ihm erstreckte. »Oh Mann, die haben nicht bloß keine Palmen hier, die haben überhaupt keine Bäume. Alles ist total braun. Ich fress auf der Stelle meinen neuen Hut, wenn's irgendwo in diesem beknackten Staat auch nur ein Gebäude gibt, das mehr als zwei Stockwerke hat. Und da soll man keine Depressionen kriegen.«
»Okay, jetzt will ich dir mal was sagen«, erklärte Hector schroff, und Chains fragte sich, welche Laus dem Boss wohl über die Leber gelaufen war - schließlich war es ja nicht er, der in diesem gottverlassenen Kaff festsaß. »Du erledigst den Job, den du dort zu erledigen hast«, fuhr Hector im Befehlston fort, »und wenn das geschehen ist, holen wir dich so schnell wie möglich nach Hause.«
»Heim ins Paradies«, sagte Chains versonnen. »Ich kann's kaum erwarten, wieder anständige Klamotten anzuziehen, und die einzigen Pferde, die ich dort zu Gesicht bekommen, sind die, denen ich auf der Rennbahn in Hialeah in sicherer Entfernung von der Tribüne aus zusehe.«
»Richtig. Du musst nichts weiter tun, als unser kleines Problem mit Kaylee aus der Welt zu schaffen. Danach kannst du dich sofort ins nächste Flugzeug nach Miami setzen.«
Jimmy Chains lächelte vor sich hin, als er sich vorstellte, wie das sein würde. Nach Hause. Tagsüber ein strahlend blauer Himmel und tiefgrüne Palmen, die sich dann am Abend als dunkle Silhouetten gegen den von der untergehenden Sonne blutrot gefärbten Himmel abhoben. Neonlichter und pastellfarben gestrichene Häuser. Männer, die wussten, wie man sich schick anzog, und kubanische Mädchen mit blendend weißen Zähnen, die bunte Sommerkleider trugen und zeigten, was sie hatten. Die Vorstellung, nach Hause in sein geliebtes Miami zurückzukehren, erfüllte ihn mit neuem Selbstvertrauen. »Ist geritzt, Boss«, versicherte er Hector. »Sie können ruhig schon mal den Flug buchen, der Job ist so gut wie erledigt.«
Hector Sanchez legte langsam den Hörer zurück auf die Gabel und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er rieb sich die schmerzenden Schläfen. »So gut wie erledigt«, murmelte er vor sich hin.
Wenn er daran dachte, dass Jimmy Chains ganz allein auf sich gestellt war, ohne jemanden, der auf ihn aufpasste, und schlimmer noch - Gott möge ihnen beistehen - offenbar gerade an einem Anfall von Größenwahn litt, bekam er eine Gänsehaut. So gut wie erledigt. Die Worte hallten bedrohlich in seinem Kopf nach.
So gut wie erledigt, sicher doch. Jimmys Wort in Gottes Ohr.
Sonst steckten sie beide wirklich bis zum Hals in der Scheiße.
Zum dritten Mal in weniger als einer halben Stunde drückte Bobby das Gaspedal bis zum Bodenblech durch und überholte einen Autofahrer, der gemächlich durch die Rocky Mountains kurvte. Das Wort, das er dabei zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorpresste, ließ keinen Zweifel daran, was er von ihm hielt.
Kaylee, die bisher gelangweilt aus dem Fenster gesehen und die vorbeifliegende Landschaft betrachtet hatte, drehte sich zu ihm hin und sah ihn nachdenklich an. »Weißt
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