Küssen will gelernt sein: Roman (German Edition)
zu sehen, aber das wunderte Delaney nicht.
Die Frauen, die Delaneys Dienste in Anspruch nahmen, deckten, was Alter und Kleiderstil betraf, eine große Bandbreite ab. Einige trugen elegante Samtkleider, andere aufwändige Kostüme. Am besten gefiel Delaney eine junge Mutter, die sich als Frau Holle verkleidet hatte, mit ihrem Knirps im Schneeflöckchenkostüm. Am erstauntesten war sie, als Lisa als Zuckerpflaumenfee verkleidet eintrudelte und die Haare zu einem französischen Zopf geflochten haben wollte. Delaney hatte in den letzten Wochen mehrmals mit ihrer Freundin gesprochen, seit sie aus den Flitterwochen zurück war. Sie hatten sich einige Male zum Lunch getroffen, und Lisa hatte gar nicht erwähnt, dass sie auch mitmachen wollte. »Wann hast du dich denn entschlossen, an der Show teilzunehmen?«
»Letztes Wochenende. Ich dachte, es wäre vielleicht nett, wenn Sophie und ich mal was zusammen machen.«
Delaney sah sich suchend um. »Wo ist Sophie denn?« Einen kurzen Augenblick fragte sie sich, ob Lisa von den Drohbriefen wusste, die Sophie ihr geschrieben hatte, doch sie nahm an, dass Lisa das schon längst angesprochen hätte.
»Beim Umziehen. Sie hat Louie und Nick noch bei ihrer Eisskulptur geholfen. Als ich sie am Larkspur-Park abgeholt habe, hatte sie weder eine Mütze auf noch ihre Jacke zugemacht. Es wäre das reinste Wunder, wenn sie morgen nicht krank im Bett liegt.«
»Was zieht sie denn an?«
»Ein Nachthemd, das wir selbst genäht haben. Wir haben uns von ›The Night Before Christmas‹ inspirieren lassen.«
»Wie kommst du denn mit Sophie klar, jetzt wo ihr in einem Haus wohnt?«, erkundigte sich Delaney, während sie eine Handvoll von Lisas Haar zusammenraffte und es oben auf dem Kopf in drei Stränge teilte.
»Es ist eine ziemliche Umstellung für uns beide. Mir liegt daran, dass sie am Küchentisch isst, und bisher durfte sie ihren Teller überall mit hinnehmen. Solche Kleinigkeiten eben. Vielleicht wäre es leichter, wenn sie nicht dreizehn wäre.« Lisa schaute in den Spiegel und rückte die Filzblätter an ihrem Halsausschnitt gerade. »Louie und ich wollen ein Baby, aber wir finden, dass wir lieber noch warten sollten, bis Sophie sich an mich gewöhnt hat.«
Ein Baby. Sie brauchte alle Finger, um Lisas Haare bis auf den Rücken zu einem französischen Zopf zu flechten. Lisa und Louie wollten also eine Familie gründen. Delaney hatte nicht mal einen Freund, und wenn sie an die Männer dachte, die in ihrem Leben wichtig waren, kam ihr nur einer in den Sinn – Nick. Sie dachte in letzter Zeit viel an ihn. Sogar im Schlaf.
Neulich nachts hatte sie wieder einen üblen Traum gehabt, nur dass die Tage diesmal ihren Lauf nahmen und ihr Auto nicht verschwunden war. Es war ihr frei gestellt, Truly zu verlassen, doch der Gedanke, Nick nie wiederzusehen, zerriss ihr das Herz. Sie wusste nicht, was schlimmer wäre: mit ihm in derselben Stadt zu wohnen und ihn zu meiden, oder nicht in derselben Stadt zu leben. Ihr war zum Heulen, und sie überlegte, ob sie sich nicht einfach in ihr Schicksal fügen und sich eine Katze anschaffen sollte. »Ich vermute, du hast das von Marty Wheeler gehört«, meinte sie, um ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.
»Na klar. Ich frage mich, was einen Mann dazu treibt, unter seinem Weihnachtsmannkostüm heimlich ein Strapsbustier zu tragen. Die Dinger sind doch echt unbequem.«
»Hast du auch von dem Spitzentanga gehört?« Delaney schnappte sich ein Haargummi und befestigte damit das Ende des Zopfs. Dann schlug sie ihn unter und fixierte ihn mit einer Haarnadel.
Lisa stand auf und zupfte ihr Kostüm zurecht. »Nicht zu fassen. Stell dir bloß vor, wenn ihn jemand an der Unterhose zieht!«
»Allein der Gedanke daran schmerzt.« Delaney entdeckte Sophie, die ein paar Meter entfernt stand und sich in ihrem langen Nachthemd samt Kopftuch nach Kräften bemühte, nicht allzu verlegen und schuldbewusst zu wirken. »Soll ich dir auch die Haare flechten?«, fragte sie die Dreizehnjährige.
Sophie schüttelte den Kopf und wich unsicher ihrem Blick aus. »Du bist gleich dran, Lisa.«
Als Lisa gegangen war, um über den Laufsteg zu schlendern, stülpte Delaney Neva Millers Haare zu einem umgedrehten Pferdeschwanz um und flocht ihren Töchtern holländische Zöpfe. Neva schwärmte nonstop von ihrer Kirche, ihrem Ehemann
Pastor Tim und dem Herrn. Dabei nahm ihr Mund dieses »Ich-bin-wiedergeboren-und-Jesus-liebt-mich-mehr-als-dich«-Lächeln an, was Delaney
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