Küssen will gelernt sein: Roman (German Edition)
strubbelig. Auf ihrer rechten Wange prangte ein Kopfkissenabdruck und unter dem Auge ein schwarzer, verschmierter Fleck. Sie hatte die Tür aufgemacht und dabei mit ihren ganz verquollenen Augen ausgesehen wie die Überlebende einer Naturkatastrophe. Schlimmer noch, sie hatte die Tür aufgemacht und echt schlimm ausgesehen, und draußen hatte Nick gestanden.
Sobald die Haustür ins Schloss fiel, spurtete Delaney ins Bad und duschte schnell. Das heiße Wasser half ihr, wieder zu sich zu kommen, und als sie aus der Dusche stieg, war sie hellwach. Aus dem vorderen Teil ihres Salons drang das Heulen von Nicks Bohrer, und sie flitzte in die Küche und setzte Kaffee auf. Egal aus welchem Grund, er tat ihr einen Gefallen. Er war nett zu ihr. Sie wusste nicht warum oder wie lange es andauern würde, aber sie war dankbar dafür und wollte es gnadenlos ausnutzen.
Delaney schlüpfte in einen schwarzen Ripppulli mit Reißverschluss, dessen Kragen und Manschetten mit Zebramuster verziert waren, und in einen dazupassenden Rock. Sie zog
sich eine schwarze Strumpfhose und Kalbslederstiefel an, knetete Schaumfestiger in ihr Haar und föhnte es trocken. Sie schminkte sich schnell; dann mummelte sie sich warm in ihren langen Wollmantel samt Schal und Handschuhen ein. Eine Dreiviertelstunde nachdem sie Nicks Hämmern an der Tür aus dem Schlaf gerissen hatte, stieg sie mit einer Thermoskanne unterm Arm und zwei dampfenden Bechern Kaffee die Treppe zum Laden hinunter.
Die Hintertür des Salons stand sperrangelweit offen, und Nick arbeitete mit dem Rücken zu ihr, die Füße weit auseinander, einen Werkzeuggürtel tief um die Hüften geschlungen. Er hatte sich Arbeitshandschuhe aus Leder übergezogen, und die Bohrmaschine lag stumm auf dem Boden. Die Tür wies ein kreisrundes Loch auf, und er war dabei, die alte Klinke abzunehmen. Als sie näher kam, schaute er auf und ließ seinen Blick über ihren Körper wandern.
»Ich bring dir einen Kaffee«, erklärte sie und hielt ihm einen Becher voll hin.
Er biss in den Mittelfinger seines Handschuhs und zog ihn sich von der Hand. Dann schob er den Handschuh in seine Jackentasche und griff nach dem schwarzen Getränk. »Danke.« Er pustete in den Becher und musterte sie durch den aufsteigenden Dampf. »Wir haben erst Oktober. Was willst du im Dezember machen, wenn du bis zum Hintern im Schnee versinkst ?«, fragte er und trank einen Schluck.
»Erfrieren.« Sie stellte die Thermoskanne an die Tür. »Aber das würde dir vermutlich gut in den Kram passen.«
»Warum?«
»Weil du dann meinen Anteil an Henrys Nachlass erbst.« Sie richtete sich wieder auf und schlang fröstelnd die Hände um ihren Becher. »Es sei denn, ich werde hier in Truly beerdigt, ohne die Stadt je verlassen zu haben. Dann könnte die
Lage prekär werden. Aber du kannst meine Leiche ja irgendwo außerhalb der Stadtgrenzen abladen.« Sie überlegte kurz und stellte eine Bedingung: »Aber sorg dafür, dass ich nicht von wilden Tieren angefressen werde. Das wäre wirklich schrecklich.«
Er lächelte schief. »Ich will deinen Anteil nicht.«
»Na klar«, spottete sie. Wie konnte jemand, der bei klarem Verstand war, kein Interesse an einem Erbteil haben, das ein Vermögen wert war? »Du warst stocksauer, als Henrys Testament verlesen wurde.«
»Du aber auch.«
»Nur, weil er mich manipulieren wollte.«
»Hast du eine Ahnung.«
Sie nippte an ihrem Kaffee. »Was meinst du damit?«
»Schon gut.« Er stellte seinen Becher neben der Thermoskanne ab und zog sich wieder den Handschuh über. »Sagen wir nur, dass ich genau das bekommen habe, was ich von Henry wollte. Ich hab Immobilien bekommen, für die jeder Bauunternehmer ein Vermögen hinblättern würde, und ich kann damit machen, was ich will.« Er fischte im Beutel an seinem Werkzeuggürtel nach einem Schraubenzieher.
Nicht ganz, dachte sie. Jedenfalls noch nicht. Er musste noch ein Jahr warten, genau wie sie. »Dann warst du also nicht sauer, weil du nur zwei Immobilien bekommen hast und ich seine Firmen und sein Geld?«
»Nein.« Er entfernte eine Schraube und ließ sie in eine Kiste fallen. »Deine Mutter und du könnt euch gern damit rumärgern.«
Sie wusste nicht, ob sie ihm das abkaufen sollte. »Was hält deine Mutter von Henrys Testament?«
Er warf ihr einen überraschten Blick zu und widmete sich wieder der Türklinke. »Meine Mutter? Warum interessiert
dich, was meine Mutter denkt?«, fragte er, während er beide Klinken abnahm und in die Kiste
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