Küstenfilz
und drückte sie mehr, als dass sie sie trug, die zwei Stufen zum
Hausinneren hinauf. Erleichtert stellte sie das schwere Behältnis am Fuß der
Kellertreppe ab, als sie die kreischenden Bremsen eines Autos hörte.
Erschrocken fuhr sie in die Höhe. Die Kinder wussten um die Gefahren des
Straßenverkehrs. Aber im Spiel konnten sie leicht alle eingeübten
Verhaltensmuster vergessen.
Sophie Joost eilte durch den kleinen Flur auf die
Straße und sah einen dunklen Golf, dessen Fahrertür offen stand. Gleichzeitig
registrierte sie einen Mann in dunkler Hose und schwarzem Poloshirt, der sich
den kleinen Josh wie ein Paket unter den Arm geklemmt hatte und David, fest den
Oberarm des Kindes umklammernd, hinter sich herzog. Der Unbekannte warf den
Jüngeren über die Lehne des Fahrersitzes auf die Rückbank, griff den sich
heftig wehrenden und strampelnden David und schleuderte ihn auf den
Beifahrersitz.
Die Mutter hatte inzwischen die wenigen Schritte bis
zum Auto, das mitten auf der Fahrbahn stand, zurückgelegt und zerrte an der
Kleidung des Mannes, um ihn zurückzuziehen.
Der drehte sich um und schlug Sophie Joost mitten ins
Gesicht, dass die Frau benommen zurücktaumelte. Dann machte er einen halben
Schritt auf sie zu, trat ihr mit dem Innenrist des rechten Fußes heftig gegen
das Schienbein und versetzte ihr gleichzeitig einen kräftigen Stoß gegen die
zur Abwehr vor der Brust verschränkten Arme. Der Angriff war so heftig, dass
Sophie den Halt verlor und rücklings auf den Gehweg fiel, da sie auch noch über
den Bordstein gestolpert war.
Der Mann sprang in den Wagen, schlug die Tür zu und
brauste mit quietschenden Reifen Richtung Innenstadt davon. Aus den
Augenwinkeln glaubte Sophie Joost noch gesehen zu haben, dass er während des
Einsteigens auf den sich zur Wehr setzenden David auf dem Beifahrersitz
einschlug.
Der Schock hatte sie gelähmt. Es dauerte eine ganze
Weile, bis sie eine Schmerzwelle durchfuhr und ihr bewusst wurde, was sich
soeben ereignet hatte. Mühsam versuchte sie, auf die Beine zu kommen. Es gelang
ihr erst im zweiten Versuch. Sie blickte die Straße abwärts. Niemand war zu
sehen. Anscheinend hatte auch keiner der Nachbarn das Geschehen beobachtet. Die
Frau wankte ins Haus. Unterwegs stolperte sie über die Getränkekiste, die im
Weg stand, und fiel erneut hin. Weitere Zeit verstrich, bis sie sich wieder
hochgerafft hatte und zum Sessel im Wohnzimmer taumelte, in den sie sich
einfach fallen ließ. Nach ein paar weiteren Minuten konnte sie wieder
durchatmen. Sie griff zum Telefonhörer, der auf dem niedrigen Tisch lag, und
drückte die Kurzwahltaste, um ihren Mann im Amt anzurufen. Es erschien wie eine
Ewigkeit, bis sich eine Kollegin meldete.
»Ist man Mann da?«, keuchte sie in den Hörer.
»Frau Joost? Sind Sie es?«, fragte die Mitarbeitern
zurück.
Doch Sophie Joost ging nicht auf die Frage ein.
»Unsere Kinder …«, stammelte sie. »Unsere Kinder … Sie
sind … ein Mann … der hat sie einfach mitgenommen.«
»Frau Joost? Geht es Ihnen gut? Kann ich etwas für Sie
tun?«, vernahm sie wie durch Watte die Stimme der Frau aus Joachims Büro.
Sie atmete tief durch, bevor es ihr gelang, einen
zusammenhängenden Satz zu formulieren.
»Man hat eben unsere Kinder entführt.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen, bis
sich die Stimme meldete. »Ich versuche, Ihren Mann zu erreichen. Er ist hier
irgendwo auf dem Flur unterwegs. Haben Sie schon die Polizei benachrichtigt?«
Daran hatte Sophie Joost überhaupt noch nicht gedacht.
»Ich möchte erst mit meinem Mann sprechen«, entgegnete
sie. »Ich warte so lange.«
Sie hörte, wie der Telefonhörer auf den Schreibtisch
gelegt wurde und im Hintergrund ein erregtes Stimmengemurmel anhob.
*
Lüder drehte gedankenverloren die leere
Cappuccinotasse, die vor ihm stand. Sie hatten ein Straßencafé am Rendsburger
Jungfernstieg aufgesucht und sich die ganze Zeit über angeschwiegen. Klaus
Jürgensen hatte zugesichert, dass er sich melden wollte, wenn die
Spurensicherung Senkbiels Wohnung so weit untersucht hatte, dass sie
hineinkonnten.
Frauke Dobermann sah an Lüder vorbei durch das Fenster
und beobachtete das Treiben auf der mit rotem und grauem Pflaster ausgelegten
Fußgängerzone. Gegenüber war in einem reich verzierten Altbau die
Geschäftstelle einer Großbank untergebracht. Rechts daneben lag das
repräsentative Stadttheater. Frauke Dobermann schrak auf, als ihr Handy
klingelte. Sie meldete sich korrekt mit ihrem Namen,
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