Küstenfilz
Hauptkommissarin sich
kurz an Lüders Tisch setzte.
»Man hat in Schleswig ein totes Kind gefunden. Etwa
zwei Jahre alt. Mehr wissen wir noch nicht«, hatte sie erklärt und war dann
wieder aufgestanden, um vor der Tür weitere Telefonate zu führen.
Da abzusehen war, dass Frauke Dobermann nicht
zurückkehren würde, hatte Lüder Brötchen für die Reise geschmiert, die Rechnung
bezahlt und geduldig darauf gewartet, dass die Hauptkommissarin ihre wenigen
Utensilien aus ihrem Zimmer geräumt hatte.
Während der Fahrt hatte sie von ihrem Handy auf Lüders
Autotelefon umgestellt, da sich die Batteriekapazität irgendwann erschöpfte.
Es war der Frau anzumerken, wie es sie nervte, nicht
selbst vor Ort zu sein. Sie erteilte ihre Anweisungen, machte auf dies und
jenes aufmerksam, fragte ab, wie die Mitarbeiter der Mordkommission vor Ort
vorgehen würden, und war dennoch unzufrieden, alles nur aus der Ferne lenken zu
können.
Lüder hatte kurz überlegt, ob es sinnvoll wäre, nach
Frankfurt zu fahren und die Hauptkommissarin in einen ICE nach Hamburg zu setzen. Dann hätte man sie dort abholen
können.
Zwischendurch hatten sie Gelegenheit, ein paar Worte
zu wechseln. Lüder erfuhr, was sich in Schleswig ereignet hatte.
»Gibt es schon Hinweise auf die Identität des Kindes?«
»Nein«, hatte Frauke Dobermann geantwortet. »Ich habe
aber einen schlimmen Verdacht.«
Den hatte Lüder auch. »Sie glauben, es könnte eines
der Joost-Kinder sein?«
Sie hatte nur stumm genickt.
Jetzt waren sie bei Neumünster. Lüder trommelte
ungeduldig auf das Lenkrad, weil sich die Fahrzeuge auf der linken Spur seiner
Meinung nach zu gemächlich an der nicht abreißenden Kette von Lkws
vorbeischoben. So war es ihnen während der ganzen Fahrt ergangen. Besonders
ärgerlich waren die Situationen, in denen es zu »Elefantenrennen« kam und Lüder
den Eindruck hatte, sie würden überhaupt nicht vorankommen.
Das Autotelefon schnarrte, und Lüder nahm das Gespräch
durch einen Druck auf die Taste im Lenkrad an.
»Jürgensen«, hörten sie die Stimme des Leiters der
Flensburger Kriminaltechnik. »Ist die Dobermann da?«
»Frau Dobermann, bitte.« Die Hauptkommissarin brachte
es trotz aller Anspannung fertig, Pikiertheit in ihre Stimme zu legen.
Klaus Jürgensen unterließ es, einen seiner Kommentare
abzugeben. Es folgte auch nicht das für ihn typische Räuspern oder Niesen.
»Wir haben das Kind identifiziert«, sagte er. »Es
handelt sich um den zweijährigen Josh Joost.«
»Mein Gott«, stöhnte Frauke Dobermann auf, obwohl sie
es längst befürchtet hatten. »Sind die Eltern verständigt?«
»Ja. Man kümmert sich um sie.«
»Gibt es sonst irgendwelche Erkenntnisse?«
Jetzt räusperte sich Jürgensen. Es klang aber anders
als sonst.
»Wir gehen zunächst davon aus, dass das Kind erstickt
wurde. Bis zu seinem Tod scheint es aber einigermaßen versorgt worden zu sein.«
»Was heißt das?«
»Nun ja«, kam es zögernd aus dem Lautsprecher. »Dem
kleinen Jungen war eine Windel umgelegt worden, die wohl sauber war, bis der
Tod eingetreten ist.« Jürgensen deutete damit den Umstand an, dass es bei
Eintritt des Todes häufig zu einer Darmentleerung kam. »Das Kind ist in
annähernd sauberer Kleidung aufgefunden worden. Es machte auch den Anschein,
als wäre es ernährt und gewaschen worden.«
»Das ist kein Trost«, mischte sich Lüder ein. »Die
Entführung der Kinder ist schon ein ungeheuerliches Verbrechen. Und jetzt – der
sinnlose Tod eines Zweijährigen.«
Frauke Dobermann knetete schweigend ihre Hände,
nachdem Jürgensen aufgelegt hatte.
»Da kann einen der heilige Zorn packen, wenn man
unterstellt, dass diese Taten ebenso wie der Bombenanschlag auf Bärbel
Rasmussen nur als Druckmittel eingesetzt werden, um einen milliardenschweren
Wirtschaftsdeal durchzusetzen.«
»Wenn Sie sich da nicht in irgendetwas verrannt
haben«, wagte die Hauptkommissarin einzuwerfen. »Man kann sich kaum vorstellen,
dass selbst die größten und gierigsten Industrieunternehmen im wahrsten Sinne
des Wortes über Leichen gehen. Noch sind das alles unbestätigte Vermutungen.
Wir kennen die Motive nicht. Was ist, wenn wir es mit zwei Tätern zu tun haben,
die unabhängig voneinander agieren? Wenn der eifersüchtige Ehemann der
Schleswiger Bürgermeisterin seinem Nebenbuhler ans Leder wollte? Und wenn die
Familie Joost aus ganz anderen Gründen erpresst wird?«
Leider hatte seine Beifahrerin recht, musste Lüder
insgeheim eingestehen. Sie
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