Küstengold: Kriminalroman (German Edition)
aber es dauerte einige Zeit, bis
er schwitzend einen Raum erreichte, der früher als Windfang gedient haben musste.
Die beiden Fahrstühle, die hier oben endeten, mussten nachträglich einbetoniert
worden sein. Seltsam war, dass keinerlei Betriebslampen leuchteten. Die Fahrstühle
schienen wie die gesamte Anlage außer Betrieb gesetzt worden zu sein.
Umso besser,
dachte sich Korschunow. Wenn Dimitrij Denisow bereits oben auf der Aussichtsplattform
stehen würde, dann war er jetzt schon ein toter Mann.
Korschunow verließ den Zwischenraum
zu einem kleinen Treppenhaus hin, das an der Tür zur Aussichtsplattform endete.
Es war beschwerlich, die Stahltür gegen den enormen Winddruck zu öffnen. Umso größer
war seine Enttäuschung, als er die vom Regen sauber geleckte leere Plattform einsehen
konnte.
Wo blieb
Denisow? Ursprünglich hatte er vor, ihn genüsslich über die Brüstung zu drängen
und sich an der Todesangst in seinem Blick zu weiden. Das hatte er in Tschetschenien
immer genossen. Er liebte den Spruch aus der christlichen Bibel: Auge um Auge, Zahn
um Zahn. Das Alte Testament, wurde ihm gesagt.
Es sollte
wie ein klassischer Fall von Selbstmord aussehen. Dann würde er die Treppen wieder
in aller Ruhe hinabsteigen und sich unerkannt aus dem Staub machen.
Aber der
deutsche Sicherheitswahn hatte leider auch hier zugeschlagen. Der Schutz auf der
Brüstung war weitaus höher und dichter vergittert als noch vor wenigen Jahren, als
er auf diesem Turm zum ersten Mal verweilte.
Nein, es
würde unmöglich sein, Denisow über das Gitter zu schieben. Korschunow flüchtete
vor dem schlechten Wetter und hastete durch das Treppenhaus zurück in den Raum hinab,
an dem die Fahrstühle endeten. Er kauerte sich auf den obersten Treppenabsatz und
lugte hinunter in das mächtige weißgetünchte kirchturmartige Innere des Ehrenmals.
Warum Dimitrij
Denisow bei seiner Regierung so plötzlich in Ungnade gefallen war, verstand Oleg
nicht. Aber es kam ihm nicht ungelegen. Es war endlich die Gelegenheit, die Machtverhältnisse
an der Front ein für allemal zu klären. Oleg würde Geduld an den Tag legen müssen.
Das kannte er aus dem Tschetschenien-Krieg. Letztendlich waren sie ihm alle noch
vor die Flinte gelaufen.
Korschunow erschrak. Die nicht einsehbare
Eingangstür am Fuße des Ehrenmales war mit einem lauten metallischen Klang ins Schloss
gefallen. Es war soweit. Das konnte nur Denisow sein.
Korschunow
brauchte jetzt nur noch die 341 Treppenstufen rückwärts zu zählen – und dann: Paff.
Allerdings konnte Korschunow keine Schritte ausmachen, obwohl er angestrengt lauschte.
War sein Landsmann misstrauisch geworden?
Korschunow
hörte ein zweites Mal die Eingangstür zum Treppenhaus ins Schloss fallen. War Denisow
etwa wieder geflüchtet? Oder sollte sich doch noch ein Tagesgast an diesen einsamen
Ort verirrt haben? Egal, dann würde er eben das Gespräch mit Denisow in die Länge
ziehen, bis sie wieder allein waren.
Jetzt war
ein leises Hüsteln zu vernehmen. Korschunow konnte aber immer noch keine Schritte
vernehmen. Das war seltsam. Was ging hier vor? Er wurde unruhig, denn sein Instinkt
sagte ihm, dass unter ihm eine feindliche Operation ablaufen musste. Hatte Denisow
einen Killer mitgebracht? Alles war möglich.
Was sollte
er tun? Er konnte schlecht eine Handgranate auf blauen Dunst hinunterwerfen. Nicht,
dass er Skrupel hatte, Unbeteiligte mit in das Unglück zu ziehen. Nein, aber er
wollte die Anlage unbehelligt wieder verlassen. Das Drama musste sich schon oben
abspielen.
Korschunow bemerkte jetzt, dass
sich Treppenhausgänger unter ihm schleichend näherten. Das mussten Profis sein.
Er entschloss sich, auf die stürmische Plattform zurückzukehren. Es gab zwar keine
Möglichkeit, sich auf der zimmergroßen Aussichtsfläche zu verstecken, aber er würde
zuerst die Ankommenden sehen und entsprechend in Empfang nehmen.
Lautlos
zog sich Korschunow zurück und schlich die Treppen zur Aussichtsplattform hoch.
Ein kleines Knarren der Tür gegen den drückenden Wind konnte er nicht vermeiden,
aber dann stand er schon wieder draußen. Der Regen schlug ihm heftig ins Gesicht.
Er kannte
solche Situationen aus Tschetschenien. Eben wollte man noch einen Fuchsbau ausräuchern,
und dann war man schon von aufgebrachten Aufständischen umzingelt. Diese Situationen
waren nur durch Hilfe von oben zu bereinigen. Bis die Kampfhubschrauber da waren,
mussten die Kameraden so gut wie möglich durchhalten, was immer hohen
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