Kullmann
Kullmanns gute Laune übertrug sich immer mehr auf Anke.
»Ich spüre es jetzt schon, wie sehr Sie mir fehlen werden«, ahnte Anke schwermütig. »Wir haben in letzter Zeit zwar unsere Differenzen gehabt, aber ohne Ihre Erfahrungen wird alles viel schwieriger werden!«
»Liebe Anke! Wenn Sie später mal einen Rat brauchen, wissen Sie immer, wo Sie mich finden!«
Anke nickte.
Martha bemerkte, dass die Unterhaltung dienstlich wurde und verabschiedete sich von den beiden, die ihrem Hunger freien Lauf ließen.
»Gestern Nachmittag habe ich dem Reporter Ingo Weber einen Besuch abstatten wollen. Er war nicht da, aber dafür seine Mutter. Wer weiß, vielleicht war das sogar noch besser, weil die gute Frau mir in ihrer Einfachheit alles schön ausgeplaudert hat. Und Sie können mir glauben, dieses Gespräch war so aufschlussreich, dass ich nun alle Zusammenhänge kenne und auch die Quellen, aus denen der ehrenwerte Herr Weber schöpft.«
Anke schaute ihn sprachlos und neugierig an. Das wäre typisch Kullmann, auf unerwarteten Hinterwegen den entscheidenden Schlüssel für die Klärung zu finden.
»Wie Sie sich bestimmt erinnern, wurde im Fall Luise Spengler in der Zeitung immer nur von einem Unfall berichtet! Welches Interesse könnte ein Journalist an einer solchen Darstellung haben?«
»Vielleicht wollte er einfach damit erreichen, dass die Ermittlungsarbeiten im Fall Luise Spengler eingestellt werden«, überlegte Anke, während sie ihren leeren Teller zur Seite schob.
»Richtig. Und warum? Weil der Journalist davon profitiert, wenn der Täter in Ruhe gelassen wird«, ließ Kullmann endlich die Katze aus dem Sack.
Anke hatte immer noch Mühe, seinem Optimismus zu folgen, weil sie keine Zusammenhänge erkennen konnte.
»Können Sie sich erinnern, dass alle Zeitungsberichte über die getöteten Kollegen von Ingo Weber stammen?«
Anke nickte, aber sie spürte, dass Kullmann mehr aus diesen Artikeln gelesen hatte als sie.
»Ich vermutete schon lange, dass die Informationen nur von einem Insider stammen können. Durch die Zeitungsberichte wird ausnahmslos der Eindruck hinterlassen, dass es sich bei den drei ermordeten Kollegen um einen Polizistenmörder handelt. Damit wird die Notwendigkeit, dass wir nach Hintergründen oder Zusammenhängen suchen, die vielleicht bis in die Vergangenheit zurückreichen können, untergraben.«
»Und zwar?«, staunte Anke nun doch.
»Zum Beispiel bis zum Fall Luise Spengler!«
Nun verstand Anke gar nichts mehr.
»Ich komme Ihnen jetzt bestimmt wie ein alter Spinner vor, der fröhlich herumfantasiert; aber dem ist nicht so. Ich habe endlich eine Vorstellung, wer oder was hinter all den Verbrechen steckt. Da ich aber weder Beweise noch eine Aussage von einem Verdächtigen habe, habe ich mir einen Plan zurechtgelegt. Und um diesen Plan umzusetzen, brauche ich Ihre Hilfe. Ich hoffe, ich kann auf Sie zählen.«
Anke fühlte sich stolz, wenn Kullmann sie für solche Aufgaben ins Vertrauen zog.
»Natürlich können Sie auf mich zählen«, versicherte sie ihm.
»Dann erzähle ich Ihnen nun, was ich vorhabe!«, begann er.
Es sollte noch eine sehr lange Mittagspause werden. Er schilderte ihr eingehend den ausgeklügelten Plan. Anke hörte hellwach zu; sie brauchte keine Zwischenfragen zu stellen.
»Ihr Plan ist genial. Sie können auf mich zählen«, stimmte sie zu.
Grinsend stellte er fest: »Jetzt haben wir doch tatsächlich wieder »ein kleines Geheimnis«!«
Anke lachte und spürte wieder wie damals bei ihrem ersten Fall in Kullmanns Abteilung das prickelnde, abenteuerliche Gefühl, seine Komplizin in einem sehr gewagten Spiel zu sein. Es war nicht nur der kindliche Reiz, etwas Verbotenes zu tun, sondern viel mehr die Gewissheit, mit Kullmann, ihrem Chef und Mentor, eine ungetrübte Vertrautheit zu erleben. Wie schwer war ihr die Zeit gefallen, als sie auf sein Geheiß hin Urlaub nehmen musste, wie hatte sie unter Selbstvorwürfen gelitten, durch ihre Unvorsichtigkeit sein Vertrauen zu ihr zerstört zu haben. Jetzt kehrte die Gewissheit zurück, wieder an seiner Seite zu stehen, mit ihm den alten Schulterschluss zu machen. Wie war sie nur auf den Gedanken kommen, Kullmann sei am Ende doch nur ein kaltherziger Vorgesetzter? Es gab keine Kluft zwischen ihnen, und die Gemeinsamkeiten, die sie immer bei ihrem Chef und ihr zu sehen geglaubt hatte, waren keine Wunschvorstellungen, sondern Wirklichkeit.
Nach einer kurzen Pause wurde Kullmanns Tonfall wieder ernst: »Aber zuerst
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