Kullmann
berechtigt Sie aber nicht zu solch gehässigen Bemerkungen!«
Anke schluckte diese Rüge. So schnell wollte sie aber nicht klein beigeben.
»Haben wir nicht die ganze Zeit krampfhaft nach Zusammenhängen zwischen den Opfern gesucht?«, erinnerte Anke ihren Chef in einem scharfen Tonfall. »Leider haben wir dabei vergessen, uns in unserem nächsten Umfeld einfach mal umzusehen. Seit heute glaube ich einen Zusammenhang zu kennen. Er heißt Horst Esche!«
»Ich rate Ihnen, mit solchen Verdächtigungen sehr vorsichtig zu sein«, mahnte Kullmann. »Esche gehört zu unseren Topleuten. In den zwei Jahren, die er in unserer Abteilung ist, hat er sehr gute Arbeit geleistet!«
»Ich habe das Vertrauen in Esche verloren«, kämpfte Anke verbissen weiter. »Und das mit gutem Grund!«
»Nennen Sie mir einen!«
Nun war es an ihr, endlich von Esches Übergriffen zu erzählen. Aber da saß sie nun zu einem Zeitpunkt ihrem Chef gegenüber, der wohl der denkbar ungünstigste war, um von persönlichen Kränkungen und widerlichen Übergriffen zu sprechen. Hinzu kam, dass Kullmann sich selbst in Zugzwang befand. Inzwischen hatte er zwei Mitarbeiter verloren und der Druck der Hausspitze, Ergebnisse vorzulegen, wuchs.
Sie zögerte kurz, bis sie ausweichend antwortete: »Bisher sind beide Mitarbeiter, die mit ihm im Team gearbeitet haben, tot. Das kann kein Zufall sein. Nimmsgern hat nicht sehr lange mit ihm zusammengearbeitet. Und Hübner hat es gerade mal ein halbes Jahr geschafft. Ich kenne den neuen Kollegen nicht, aber sein Einstieg hier beginnt unter recht seltsamen Vorzeichen!«
»Das sind sehr harte Anschuldigungen, die Sie da vorbringen. Aber Sie können froh sein, dass Sie diese Bemerkung nur in meiner Anwesenheit gemacht haben. Ich werde einfach vergessen, was Sie gerade gesagt haben, weil ich sehe, dass Sie im Augenblick sehr angespannt sind.«
Anke biss trotzig die Lippen aufeinander.
Nach einer Weile fügte Kullmann an: »Ich werde meine Meinung über Esche nicht ändern! Er ist unbestreitbar ein guter Polizist!«
Anke stöhnte still auf, als sie wieder die Lobeshymnen über Esche aus Kullmanns Mund hörte.
Auf ihr langes Schweigen hin hakte er nach: »Anke, was ist geschehen? Ich kenne Sie zwar erst, seit Sie hier in meiner Abteilung arbeiten, aber dafür gut genug, um zu wissen, dass dieses Verhalten ganz untypisch für Sie ist. Was ist denn zwischen Esche und Ihnen vorgefallen, dass Sie kein gutes Haar an ihm lassen?«
Diese Gelegenheit musste sie einfach nutzen, dachte Anke. Obwohl sie vor Angst stark angespannt war, ihr Chef könnte sie missverstehen und zurechtweisen, setzte sie langsam an zu sprechen: »Esche will mehr von mir, als ich zulassen kann.«
Kullmann schaute Anke zweifelnd an, sagte aber nichts.
»Er ist aufdringlich und jagt mir Angst ein!«
Nun lächelte Kullmann und meinte: »Aber Anke! Sie können sich doch wehren. Wie sollte Esche Ihnen denn Angst einjagen können?«
»Indem er sich mir unsittlich nähert!«
Anke zitterte vor Wut, Empörung und Enttäuschung. Sie spürte, dass sie nichts erreichen konnte mit diesem Gespräch.
»Das hat er doch gar nicht nötig. Ich habe ihn schon oft mit Frauen zusammen gesehen. Warum sollte er das also tun? Damit würde er sich nur Schwierigkeiten einhandeln. Dafür ist er viel zu ehrgeizig. Ich glaube, diese Polizistenmorde setzen Ihnen mehr zu, als ich gedacht habe. Wenn Sie Urlaub haben wollen, müssen Sie mir das nur sagen!«
Das war genau der Schlag ins Gesicht, den Anke befürchtet hatte. Sie sah ihre Chance dahinschwinden, sah, dass es nichts mehr für sie zu tun gab, um ihn von der Wahrheit ihrer Worte zu überzeugen. Esche war ein viel zu raffinierter Gegner. Er hatte seine Annäherungsversuche immer so geschickt durchgeführt, dass niemand im Büro auch nur das Geringste davon mitbekommen hatte. Wie konnte sie da annehmen, dass ihr jetzt jemand glauben würde?
Kullmann stand auf und verließ langsam das Zimmer. Doch bevor er die Tür hinter sich schloss, meinte er: »Der Tod unseres Kollegen Hübner geht Ihnen besonders nahe. Am besten ist es, Sie fahren jetzt nach Hause. Wenn Sie wieder etwas zur Ruhe gekommen sind, werden Sie selbst erkennen, dass sie einfach zu sehr unter Stress gestanden haben!«
Über diese Beilegung des Problems war Anke keineswegs zufrieden. Sie fühlte sich schutzlos und allein.
Niemand glaubte ihr. Jetzt hatte sie keine andere Wahl mehr, sie musste sich ganz allein gegen Esches Übergriffe wehren. Auf
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