Kullmann
schrill. »Wer hier wen belästigt, ist doch wohl klar!«
»Stimmt! Deshalb rate ich dir, dich nach anderen Männern umzusehen. So, wie du herumläufst, dürfte das doch kein Problem für dich sein«, stellte Anke fest.
»Was du von dir ja nicht behaupten kannst. Beziehst du deine Garderobe von der Altkleidersammlung?«
»Nein, ich habe es nicht nötig, meine Reize überall herumzuzeigen. Außerdem gehe ich noch einer sinnvollen Arbeit nach, wofür Reizwäsche nicht geeignet wäre.«
Robert unterbrach das Streitgespräch, indem er sein Pferd wendete und zur Anbindestelle ritt. Anke folgte ihm.
Als die Pferde versorgt waren und der Tag sich dem Ende näherte, kam Anke wieder die schmerzhafte Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse zurück. Das Abendrot senkte sich immer tiefer herab, als wollte es sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihr Gemüt niederdrücken. Sie musste sich der Realität stellen, dass dieses grausame Verbrechen an Hübner begangen worden war. Es war nicht mehr umkehrbar. Er war tot. Entsetzen kroch in ihr hoch bei dem Gedanken, nach Hause zu gehen und sich ihren schwermütigen Gedanken hinzugeben, die unwillkürlich auf sie einstürmen würden. Wie schon lange nicht mehr fürchtete sie sich davor, allein zu sein – allein, ohne Ablenkung, gnadenlos ihren Erinnerungen ausgesetzt, die alles noch schlimmer machten.
Es kam ihr vor wie eine Fügung, als Robert ihr den Vorschlag machte, mit zu ihm zu fahren.
Roberts Wohnung befand sich in einer prachtvollen Villa am Staden. Zuerst betraten sie eine helle Diele, deren Decke mehr als drei Meter hoch war, was der Bauweise der Häuser nach der Jahrhundertwende entsprach. Dann ging er mir ihr durch einen Rundbogen in ein geräumiges Wohnzimmer. Neugierig schaute Anke sich um. Robert hatte sich in einem äußerst raffinierten Stil eingerichtet. Zwischen hochmodernen Vitrinen und Schränken aus furniertem Kiefernholz standen antike, mit Intarsien verzierte Kommoden, ein deckenhohes Bücherregal, das eine gesamte Seite des Wohnzimmers einnahm, und mit Schnitzereien versehene Schränke aus massiver Eiche. Durch diese abwechslungsreiche Kombination verschiedener Stilrichtungen entstand eine sehr behagliche Atmosphäre. Robert hatte es an nichts fehlen lassen. Jeder freie Platz in den Regalen wurde durch ein Accessoire dekoriert. Von Porzellanpuppen bis hin zu handgeschnitzten Holzfiguren reichte die Vielfalt, die von allen Seiten her den Raum schmückte. Hier fühlte Anke sich wohl.
Dieses Zimmer öffnete sich auf einen Balkon, den ein barockes schmiedeeisernes Geländer abschloss. Von dort aus reichte der Ausblick bis auf die Saarwiesen, wo um diese Zeit noch viele Menschen das frühlingshafte Wetter genossen. Genau das wollten Anke und Robert nun ebenfalls tun und ließen sich auf den Gartenstühlen nieder, die dort bereit standen. Sie bestellten sich eine Pizza, weil sie beide zum Kochen keine Lust hatten. Robert öffnete eine Rotweinflasche und schenkte ein. Anke wusste, dass es unvernünftig war, während ihrer inneren Anspannung Alkohol zu trinken. Aber sie kannte ihre Grenzen und das gab ihr genügend Sicherheit, sich einfach treiben zu lassen. Aus dem Wohnungsinneren ertönten leise, ruhige Songs wie Sparkling meadows und Rossa mela della sera von Zucchero, leise rauschte der Wind in den Bäumen; die Geräusche von der Stadtautobahn störten nicht. Der Wein legte sich wie ein sanftes Tuch über Anke, sie konnte ihre beruflichen Sorgen vergessen. Sie fühlte sich wie auf einem warmen Sandstrand, in dem ihr Körper seine Formen zeichnete. Robert plauderte mit ihr, ihre anfänglichen Zweifel, bei ihm zu bleiben, rückten in weite Ferne. Mit seinen Späßen konnte er sie zum Lachen bringen, gleichzeitig fühlte sie sich ernst genommen. Er gab ihr das Gefühl, etwas Besonders zu sein. Anke spürte einen sicheren Boden, der sie halten konnte. Alle Vorbehalte, die sie bis jetzt gespürt hatte, fielen von ihr ab. Sie genoss die Zweisamkeit mit ihm, weil es ihr vorkam, als sei sie schon lange Zeit mit Robert zusammen. Jede seiner Reaktion glaubte sie zu kennen, jedes Wort, das er sprach, sah sie voraus, jede Berührung hatte sie sich schon lange ersehnt, bevor sie endlich eintraf.
Je später es wurde, umso deutlicher spürte Anke jedoch, dass der innere Widerstreit ihrer Gefühle zu Robert noch nicht ganz besiegt war. Einerseits konnte sie sich nicht sicher sein, ob er es wirklich ernst mit ihr meinte, auch wenn er es versprach. Andererseits fühlte sie
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