Kullmann
sich so sehr zu ihm hingezogen, dass sie diese unbequemen Zweifel lieber beiseite schob. Alles wirkte stimmig und betörend schön, dass sie mit ihm verschmelzen wollte. Ihre anfänglichen Bedenken, sich ihm zu öffnen, lösten sich in Nichts auf. Mit jedem Schritt, den sie auf ihn zumachte, gab sie mehr über sich selbst preis. Aber Roberts einfühlsame Hände und Worte ließen sie nun endgültig in die Welt der Sinne abgleiten, es wurde eine wunderschöne Nacht voller Zärtlichkeit und Leidenschaft.
Völlig verzaubert von den Eindrücken der letzten Stunden wachte Anke auf und empfand den Schritt zurück in die Wirklichkeit als grausam. Ihr erster Gedanke beschäftigte sich mit Hübner. Sie wollte es nicht wahrhaben, dass er ermordet worden war.
In dieser frühen Stunde fiel es ihr besonders schwer, an diese Gewalttat wirklich zu glauben. Aber je mehr sie überlegte, umso mehr wurde sie sich der Tatsache bewusst, dass Hübner wirklich nicht mehr lebte. Diese schrecklichen Bilder brachten sie dazu, schneller aufzustehen, als sie es eigentlich wollte. Aber als sie die Küche betrat und sah, mit welcher Sorgfalt Robert sich dem Frühstück widmete, konnte sie etwas aufatmen. Begeistert von dem Anblick, wie er Marmelade und Rührei mit Speck, frisch gepresste Orangen und getoastetes Brot auf den Tisch stellte, blieb sie im Türrahmen stehen und freute sich still, verwöhnt zu werden. Es dauerte eine Weile, bis Robert bemerkte, dass Anke ihn beobachtete. Als Antwort lächelte er und meinte: »Ich hoffe, es ist etwas für dich dabei!« Dankbar umarmte Anke ihn und versicherte ihm, welche große Freude er ihr damit machte. Robert hatte so reichlich aufgetischt, dass Anke bald passen musste.
Gesättigt machte sie sich anschließend auf den Weg zur Arbeit. Kaum hatte sie Roberts Wohnung verlassen, begannen ihre Gedanken wieder von Neuem aufzuleben. War Hübner nicht ausgerechnet am Abend zuvor ermordet worden? Und war es nicht ausgerechnet Hübner gewesen, der ihr Vertrauen auf so derbe Weise missbraucht hatte, dass sie sehr lange gebraucht hatte, bis sie sich endlich wieder zu einem Mann hingezogen fühlen konnte? Diese Fragen tauchten auf wie eine Anklage, nachdem sie alle Bedenken einfach über Bord geworfen und Roberts Einladung angenommen hatte. Hoffentlich hatte sie mit ihrer Entscheidung keinen Fehler gemacht, zweifelte sie plötzlich.
Den Weg von Roberts Wohnung zum Landeskriminalamt legte sie zu Fuß zurück, um frische Luft schnappen zu können. Diese Gedanken und der Schlafmangel belasteten sie. Inzwischen hatten sie soviel Arbeit, dass sie einfach einen klaren Kopf behalten musste. Da war die Flasche Rotwein vom Vorabend nicht gerade die klügste Entscheidung gewesen.
Der Anblick ihrer Dienststelle lähmte ihre Vorsätze. Selbst die schönsten Erinnerungen an die letzten Stunden halfen nicht, sie von dem schrecklichen Ereignis des vorangegangenen Tages abzulenken. Mit jedem Schritt, den sie auf ihr Dienstzimmer zuging, näherte sie sich der Verantwortung, die mit der Ermordung ihres Kollegen und Ex-Freundes einherging. Sie konnte sich dieser schweren Verpflichtung nicht entziehen und wollte es auch nicht. Das war sie Hübner einfach schuldig. Bevor sie an ihren Arbeitsplatz eilte, hielt sie vor der Tür zu Hübners Zimmer an. Unschlüssig, ob es richtig war, einen Blick hineinzuwerfen, verharrte sie dort eine Weile, bis sie endlich die Türklinke, wie von einer fremden Hand geführt, hinunterdrückte. Lautlos öffnete sich die Tür. Vor ihr lag sein Büro, wie sie es kannte. Nichts war verändert worden. Auf seinem Schreibtisch standen immer noch seine persönlichen Sachen, seine Bilder hingen an den Wänden, sogar seine Jacke für »Notfälle« hing am Garderobenhaken. In der Sommerhitze hatte er sie nicht benötigt. Dieser Anblick versetzte ihr einen schmerzhaften Stich. Wer würde sich nun um seine persönlichen Sachen kümmern, fragte sie sich.
Rasch schloss sie die Tür wieder und setzte ihren Weg fort. Wie üblich bestand ihre erste Dienstleistung des Tages darin, Kaffee aufzubrühen. Mit der Kanne in der Hand ging sie auf Kullmanns Büro zu. Er war nicht allein! Das konnte sie sich zuerst nicht erklären. Doch als sie eintrat, fiel es ihr wieder ein: An diesem Tag sollte der neue Kollege seinen Dienst antreten. Vor ihr stand ein Hüne von einem Mann. Wortlos schenkte Anke ihrem Chef Kaffee ein und wollte wieder gehen, als Kullmann sie zurückhielt.
»Das ist unser neuer Kollege, der die Nachfolge
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