Kullmann
von Walter Nimmsgern antreten wird. Er heißt Erik Tenes.«
Anke stellte sich ebenfalls vor und staunte, wie groß dieser Mensch war. Durch seine breiten Schultern und seinen athletischen Körperbau wirkte er noch größer. Seine blonden Haare waren glatt aus seinem Gesicht herausgekämmt, was seinen Gesichtszügen eine markante Strenge verlieh. Seine Stimme klang dunkel und sehr beherrscht, als bemühte er sich, keinen Funken von Gefühl preiszugeben.
Diese Distanziertheit erschreckte sie.
»Herr Tenes kommt vom Polizeipräsidium in Köln hierher. Er hat eine Spezialausbildung als verdeckter Ermittler absolviert. Ich bin mir sicher, dass wir von seinen Erfahrungen viel profitieren können!« Kullmann versuchte offensichtlich, ihm ein Sprungbrett zu bauen.
»Was hat Sie dazu bewogen, nach Saarbrücken zu kommen?«, wagte Anke sich zu fragen und erhielt eine Antwort, die ihren ersten Eindruck bestätigte: »Ich hatte persönliche Gründe!«
Wie vor den Kopf gestoßen verließ Anke das Zimmer. Mit einem plötzlichen Schrecken wurde ihr bewusst, dass Hübner doch der beste Kollege gewesen war, mit dem sie bisher zusammengearbeitet hatte. Esche hatte sie inzwischen auf eine Weise kennen lernen müssen, die sie anekelte. Jürgen kam als zukünftiger Teampartner nicht in Frage. Blieb nur noch der Neue, ein Riese, der die Ausstrahlung eines Eisbergs hatte. Bei dem Gedanken, mit ihm zusammenarbeiten zu müssen, begann sie zu frösteln.
Sie begab sich in ihr Büro und las den Autopsiebericht von Hübner, der inzwischen auf ihrem Schreibtisch gelandet war. Wie in den anderen Berichten gab es keine Überraschungen. Hübner war mit seiner eigenen Waffe aus nächster Nähe erschossen worden. Es sprach alles dafür, dass er mit seinem Verdacht tatsächlich richtig gelegen hatte; leider hatte ihn das sein Leben gekostet. Er schien tatsächlich dem Richtigen begegnet zu sein, aber nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Immer war er impulsiv und übereifrig gewesen, womit er jedem Kollegen den letzten Nerv rauben konnte. Aber dass ihn diese Eigenschaft letzten Endes das Leben kosten sollte, das hatte er nicht verdient, grübelte Anke. Sie musste weinen. Es war nicht nur die Trauer, die sie so sehr mitnahm, es waren auch die Zweifel, ob sie es wirklich hätte verhindern können. Aber wie hätte sie ahnen können, dass er einem Mörder auf die Schliche gekommen war, nach dem die ganze Abteilung immer noch verzweifelt suchte? Niemals hätte sie geglaubt, dass Hübner diese mordsgefährliche Aktion gewagt hätte. Dieser Gedanke erschütterte sie mehr, als sie geahnt hatte. Durch sein übereiltes Verhalten, seine Neigung zu spektakulären Alleingängen, hatte er sich ständig in Schwierigkeiten gebracht. Deshalb war er immer wieder damit beschäftigt, Fehler, die er durch seine kopflosen Handlungen gemacht hatte, auszubügeln. Schon immer hatte Hübner es geschafft, durch seine Erregbarkeit Fehler zu machen, die ihn in Schwierigkeiten brachten. Hätte sie da ahnen können, dass er diesmal den Richtigen im Verdacht hatte? Durch sein provozierendes Verhalten hatte er es geschafft, dass sie auf stur geschaltet und über die Bedeutung seiner Worte nicht weiter nachgedacht hatte. Anke erinnerte sich: Du wirst noch sehen, was in mir steckt. Ich werde dir nämlich heute noch beweisen, dass nur ich in der Lage bin, den Polizistenmörder zu stellen! Ich werde das fertig bringen, was der gesamte Polizeiapparat nicht geschafft hat, nämlich den Mann zu stellen, der zwei unserer Kollegen auf dem Gewissen hat. So sehr sie auch darüber nachdachte, sie fand keinen Ansatz, der ihr Gewissen erleichterte. Sie hatte in diesem letzten Gespräch einen entscheidenden Fehler gemacht: Sie hatte nicht genug hinterfragt. Sie fühlte sich zerrissen. Diese Suppe hatte sie selbst auszulöffeln.
Als sie hörte, dass der Neue gerade den anderen Kollegen vorgestellt wurde, schloss sie sich ihrem Chef und Erik Tenes an. Sie musste sich schnellstmöglich von den beklemmenden Gedanken ablenken. Sie spürte, wie sich die wunderbaren Eindrücke der vergangen Nacht aufzulösen begannen.
Zuerst betraten sie das Zimmer von Jürgen Schnur und Esther Weis. Die Vorstellung verlief sehr sachlich, kurz und bündig. Als der Gang zu Esche an Hübners Büro vorbeiführte, blieb Kullmann einige Sekunde vor der geschlossenen Tür stehen. Jürgen und Esther, die sich dem Vorstellungsritual angeschlossen hatten, und Anke beobachteten ihn dabei. Sie alle spürten die Leere,
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