Kullmann
und sie erneut angreifen wollte, traf sie seinen Kopf. Seine Farbe wich aus seinem Gesicht und langsam kippte er zur Seite. Als er sich nicht mehr regte, beschlich sie die Angst, dass sie zu weit gegangen sein könnte. Entsetzt schaute sie auf den daliegenden Mann. Sie zitterte am ganzen Leib. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie sich endlich in den Stuhl setzen und überlegen konnte, wie es nun weitergehen sollte. Esche stöhnte vor Schmerzen und hielt sich eine Hand an den Kopf. Erleichtert atmete Anke auf.
Er war nicht tot! Wie sehr sie dieser Gedanke beruhigte, hätte sie nicht für möglich gehalten.
Sie brauchte eine Weile, bis sie endlich wieder klar denken konnte. Aber das einzige, was ihr einfiel, war, so schnell wie möglich aus diesen Räumen zu verschwinden. Esche wieder auf die Beine zu helfen, war das Letzte, was sie wollte. Wer wusste schon, wie hart sein Schädel war. Vielleicht fiel er erneut über sie her.
Hastig verließ sie das Büro. Niemand befand sich auf ihrer Büroetage, der sie hätte sehen können. Sie war ihm ganz allein ausgesetzt gewesen! Diese grausame Szene wich nicht von ihren Augen. Fieberhaft überlegte sie, welche Vorwürfe man ihr machen könnte, weil sie ihn äußerst brutal niedergeschlagen hatte. Notwehr würde ihr niemand glauben, aber sie wusste auch, dass Esche niemals im Büro zugeben würde, was wirklich geschehen war. Im Zweifelsfall stand Aussage gegen Aussage. Wem würde Kullmann in diesem Fall glauben? Sie wusste es nicht. Als sie wieder zur Ruhe kam, fielen ihr wieder die Worte ein, die Erik Tenes und Esche miteinander gewechselt hatten bei ihrer Begrüßung.
Willst du dein krankes Spiel jetzt in Saarbrücken weitertreiben?, hatte Erik Tenes Esche gefragt, worauf Esche erwidert hatte : Die Frauen, mit denen ich zu tun hatte, leben alle noch …!
Mit innerlichem Frösteln erinnerte sie sich auch daran, wie die Unterhaltung von Erik fortgesetzt worden war. Es gibt Menschen, die lernen aus ihren Fehlern. Du gehörst offensichtlich nicht dazu!
Diese Bemerkung verstand Anke jetzt besser nach dem, was sie gerade erlebt hatte.
Als sie in den herrlichen Sonnenschein trat, kam ihr die Erinnerung wie ein düsterer Horrorfilm vor, eine Episode aus Edgar Allen Poes Geschichte Die Grube und das Pendel . Sie kam aus der dunklen Grube, die das Sinnbild der Hölle war, hatte das Pendel vor Augen gesehen, das Pendel, das über ihr schwang und sich bedrohlich immer tiefer senkte, und trat nun vor in das Licht der Barmherzigkeit, das auf sie wirkte wie weiße Engel, die sie retten würden. Erleichtert atmete sie ganz tief diese befreiende Luft ein und zog die Kraft in sich hinein, die sie nun brauchte. Sie ging zu ihrem Auto und beschloss, zum Stall zu fahren. Wie sehr sehnte sie sich danach, sich beim Reiten mit Rondo zu entspannen, um dieses schreckliche Ereignis für kurze Zeit einfach vergessen zu können. Wenn sie Glück hatte, war Robert da und begleitete sie.
*
Kullmann kam erst sehr spät ins Büro zurück und rechnete nicht mehr damit, noch jemanden anzutreffen. Als er Esche an seinem Platz sitzen sah, dazu noch mit einer dicken Beule am Kopf, staunte er nicht schlecht.
»Was ist denn mit dir passiert?«, fragte Kullmann.
Esche schnaubte verächtlich und antwortete: »Ich bin gerade mal mit dem Leben davongekommen! Nun weiß ich, wer der Polizistenmörder ist! Es war eigentlich ganz einfach.«
Das konnte Kullmann nicht glauben. Sie waren seit Monaten damit beschäftigt, die Morde aufzuklären, ohne die geringste Spur zu haben. Es war die verzweifeltste Suche, die er in seiner langjährigen Dienstzeit erlebt hatte. Und da saß Esche vor ihm, der die Antwort durch eine Beule am Kopf gefunden zu haben schien.
»Hattest du durch die Beule eine Erleuchtung?«, fragte er und setzte sich dem angeschlagenen Esche gegenüber, der gleich zu erzählen begann: »Klar! Ich sehe endlich die Zusammenhänge, dass nur einer mit allen Opfern in Verbindung steht!«
»Und zwar?«, hakte Kullmann immer noch ungläubig nach.
»Robert Spengler.«
Diese Antwort gefiel Kullmann ganz und gar nicht: »Sei mal nicht zu voreilig!«
»Ich weiß genau, was ich sage! Als Walter Nimmsgern am Fall Luise Spengler arbeitete, ist er auf eine ganz heiße Spur gestoßen. Leider hatte er mir nicht verraten, welche Spur das war. Er machte schon immer aus allem ein Geheimnis; deshalb habe ich ihn nicht ernst genommen. Aber am nächsten Morgen war er tot. Das hat mich hellwach gemacht; ich bin
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