Kullmann
Vorhufen in die Luft schlug. Panik erfasste sie. Nepomuk kam dem Abhang immer näher; Robert hatte alle Mühe, im Sattel zu bleiben. Nervös begann Rondo, sich im Kreis zu drehen, ohne auf ihre beruhigenden Worte zu achten. Vor ihren Augen sah sie abwechselnd die Bilder des lebensbedrohlichen Berghangs und der saftig grünen Laubbäume, bis plötzlich blinkende Blaulichter dazwischen auftauchten. Erst als es ihr gelang, Rondo ein wenig zu beruhigen, erkannte sie Streifenwagen mit Blaulicht. Aber Rondos Angst wuchs mit jedem Meter, den die blinkenden Polizeifahrzeuge näher kamen, sodass Anke Schwierigkeiten hatte, im Sattel zu bleiben. Mit aller Macht versuchte sie beruhigend auf ihn einzureden, aber das Spektakel um sie herum war viel zu groß, um das aufgeregte Pferd wieder zur Ruhe zu bringen.
»Steigen Sie ab!«, hörte sie Kullmanns Stimme.
Wie kommt Kullmann hierher?, überlegte Anke. Aber anstatt auf Kullmanns Rat zu hören, klammerte sie sich immer verkrampfter an Rondos Rücken fest, obwohl das nervöse Pferd dem Abhang immer näher kam. Ihre Hände krampften sich in seine dicke Mähne und ihre Beine klammerten sich so fest an seine Flanken, dass Rondo einen heftigen Satz nach vorne sprang. Anke schloss nur noch die Augen, weil sie glaubte, dass das ihr Ende sei. Aber stattdessen kam Erik Tenes auf sie zugerannt, griff nach den Zügeln des völlig aufgeregten Pferdes und sprach mit Engelszungen auf ihn ein. Rondo beruhigte sich tatsächlich. Anke öffnete wieder die Augen. Sie lebte noch, Gott sei Dank, aber der gefährliche Abhang war immer noch direkt vor ihr. Das Holzgeländer, das den Weg einsäumte, war umgestoßen worden und in die Tiefe gestürzt. Entsetzt schaute sie in eine andere Richtung. Was sie dort zu sehen bekam, gefiel ihr allerdings auch nicht besser. Sie sah gerade noch, wie Robert in Handschellen abgeführt wurde.
Anke wollte von Rondo absteigen und hinter Robert herlaufen, als Erik Tenes sie aufhielt.
»Bleiben Sie im Sattel sitzen«, befahl er ihr in einem Tonfall, als redete er mit einem ungehorsamen Kind. Anke sah nicht im Geringsten ein, sich von dem Kollegen, den sie kaum kannte, etwas befehlen zu lassen. Aber sie konnte sich gegen ihn nicht wehren, das war sinnlos. Erik Tenes verzog keine Miene, als er sie am Absteigen hinderte. Verzweifelt blieb sie im Sattel sitzen.
»Was soll das alles? Warum nehmt ihr Robert mit? Was hat er getan?«, fragte Anke völlig außer sich.
»Das erklären wir Ihnen später«, meinte Erik.
Er ließ Rondo los und ging auf Nepomuk zu. Beruhigend sprach er auf das Pferd ein, führte den Wallach einige Schritte von dem gefährlichen Abhang weg und stieg in den Sattel.
»Was soll das werden?«, fragte sie fassungslos.
»Wir bringen die Pferde zurück zum Stall«, antwortete Erik ohne weiteren Kommentar und trieb Nepomuk an, loszugehen, als sei es das Normalste auf der Welt, dass ausgerechnet der Kollege jetzt den Rückweg mit dem braunen Wallach antrat.
Der Rückweg dauerte sehr lange. Diese Zeit nutzte Anke, um wieder zur Ruhe zu kommen. Der innere Aufruhr machte es ihr unmöglich zu denken. Sie wollte unbedingt verstehen, was dort auf dem Hügel über sie hereingebrochen war. Sie kam zu der Überzeugung, dass sie diese Aktion erst verstehen konnte, wenn sie mit Kullmann darüber gesprochen hatte.
Sie beobachtete ihren neuen Begleiter und stellte fest, dass der Hüne gut reiten konnte. Je länger sie ritten, umso sicherer wurde sie, dass Erik Tenes nicht zum ersten Mal im Sattel saß.
Am Stall angekommen, half Erik, die Pferde zu versorgen. Anschließend gingen sie zum Dienstwagen, der direkt am Reitplatz abgestellt war. Auf dem Platz war gerade Helmut Keller dabei, den großen Rappen zu trainieren. Erik Tenes wurde plötzlich sehr aufmerksam. Seinen Blick auf den Reiter gerichtet, fragte er Anke: »Ist das Helmut Keller?«
»Ja! Kennen Sie ihn?«
»Allerdings! Er ist in Köln straffällig geworden und hat später die Stadt verlassen. Damals war er ein erfolgreicher Turnierreiter, nur leider hatte er seinen Jähzorn nicht richtig im Griff«, antwortete Erik.
»Was hat er denn verbrochen?«
»Er hat einen Mann krankenhausreif geschlagen. Helmut Keller hat behauptet, es sei im Affekt geschehen und kam mit einer Bewährungsstrafe für Körperverletzung davon. Ich hatte aber den Eindruck, dass der Fall anders lag, konnte ihm aber nichts beweisen.«
»Und warum hat er den Mann so verprügelt?«
»Es hatte etwas mit seiner Beschäftigung als
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