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Kullmann

Kullmann

Titel: Kullmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Schwab
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Sohn sein könnte.
    Unwillkürlich sah er sich Hand in Hand mit Luise über den Schulhof gehen und verliebte Blicke tauschen. Jahrelang hatten sie in der Parallelklasse des Gymnasiums gesessen, die heimlichen Schwüre, für immer zusammenzubleiben, tauchten vor seinem inneren Auge auf. Aber Kurt Spengler war damals auch da gewesen. Er war eine Klasse höher und hatte schon lange ein Auge auf Luise geworfen. Während Kullmann dieses junge, zarte Mädchen von ganzem Herzen geliebt hatte, war es für Kurt nur ein Spiel gewesen, Kullmann zu beweisen, dass er Luise für sich gewinnen konnte. Luise studierte nach dem Abitur an der Saarbrücker Universität, während Kullmann seinen Dienst bei der Polizei antrat. Kurt Spengler war schon Student an der gleichen Universität und hatte sofort seine Chance gewittert. Sein Ehrgeiz war entfacht. Leider hatte Luise seine wirklichen Motive zu spät erkannt. Sie war wohl behütet aufgewachsen und hatte immer nur das Gute in den Menschen gesehen. So kam es, dass sie gar nicht in der Lage war, Kurts perfides Spiel zu durchschauen. Auf einmal ging alles sehr schnell. Luise wurde schwanger – mit Robert – und musste Kurt heiraten. Kurz vor dieser unvermeidlichen Hochzeit war sie noch einmal zu Kullmann gekommen und hatte ihn gebeten, ihr zu verzeihen. Er hatte gar keine andere Wahl als ihr zu verzeihen, weil er sie trotz allem weiter liebte. Das war nun vierzig Jahre her. Dieser gut aussehende Mann brachte ihm seine unerfüllte Liebe schmerzlich zu Bewusstsein.
    War Kullmann in diesem Fall wirklich fähig, sachlich zu handeln oder wollte er in Robert einen Unschuldigen sehen, weil er Luises Sohn war? Wenn er seine Situation richtig überdachte, musste er erkennen, dass er diesen Fall wegen Befangenheit abgeben sollte. Aber gerade das lag ihm fern, weil er auf jeden Fall verhindern wollte, dass Robert fälschlicherweise verhaftet wurde. Deshalb blieb er beharrlich und wiederholte seine Frage. Aber Robert änderte seine Antwort auch beim zweiten Mal nicht.
    »Wissen Sie denn überhaupt, warum wir Sie hier befragen?«
    »Ich nehme an, es geht immer noch um den Tod meiner Mutter«, schimpfte Robert gegen den Rat seines Anwalts zu schweigen. »Sie wollen gerne aus dieser Tragödie einen Mord machen und mich als ihren Mörder abstempeln. Das kommt Ihnen doch sehr gelegen, weil ich der Grund war, warum Sie und meine Mutter nicht zusammenbleiben konnten!«
    Mit dieser Offenheit verblüffte Robert seinen Anwalt und Kullmann gleichzeitig. Aber Kullmann bemühte sich, seine Gefühle nicht zu zeigen, weil er dadurch in die Enge getrieben werden könnte, was für diese Befragung sicherlich nicht sehr nützlich wäre.
    »Ich bin erstaunt, welche Zusammenhänge vermutet werden«, glättete Kullmann Roberts überraschenden Angriff und setzte zum Gegenschlag an, wobei er dabei den Mann nicht aus dem Augen ließ: »War Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter sehr gespannt?«
    Diese Frage löste in Robert sehr gemischte Gefühle aus. In sich gekehrt saß er da und ließ seine Erinnerungen an seine Mutter Revue passieren. Es gab sehr wenige Momente, in denen sie ihm das Gefühl von Wärme oder Herzlichkeit gegeben hatte; insgeheim hatte er sich nach mehr Mutterliebe gesehnt. Aber niemals hätte er es fertig gebracht, seiner Mutter deshalb einen Vorwurf zu machen, weil er die Gründe für ihr Verhalten im Laufe der Jahre immer besser verstanden hatte. Sein Vater hatte ihr das Leben zur Hölle gemacht. Nicht ein gutes Wort hatte er an sie gerichtet, er hatte sie nicht geliebt, sondern nur benutzt. Seine Liebe hatte nicht ihr gegolten, wie Robert selbst sehr bald erkennen musste, sondern ihrem Vermögen. Seine Mutter kam aus einer reichen Familie, was seinem Vater nicht entgangen war. Aber was hatte ihr all dieser Reichtum gebracht? Heute, nachdem er schon lange Abstand zu seinem Elternhaus hatte, konnte er diese Verhältnisse besser erkennen und verstehen. Leider war es jetzt zu spät.
    Als Kullmann erkannte, dass er darauf keine Antwort bekam, versuchte er es anders: »Aber wie kann man seine eigene Mutter so hassen, dass man bereit ist, ihren Tod in Kauf zu nehmen?«
    Auf diese Frage reagierte Robert sehr bestürzt und trotz aller Ratschläge seines Anwalts platzte er los: »Meine Mutter und ich hatten ein gespanntes Verhältnis, das stimmt! Sie gab mir unbewusst die Schuld daran, nicht das Leben zu haben, wie sie es verdient hatte.«
    Ärgerlich stieß der Anwalt ihn an, damit er aufhörte zu sprechen, aber

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