Kullmann
Rondos hatte ihr gezeigt, wie falsch sie sich benommen hatte; denn erst als ihr der Sturz schmerzlich die Augen geöffnet hatte, hatte Rondo sich auch wieder gezeigt – so gelassen und zuverlässig, wie sie ihn kannte.
Nach ihrem reiterlichen Missgeschick hatte sie sich sofort bei Susanne für eine Reitstunde an diesem Nachmittag angemeldet, die sie auf keinen Fall verpassen wollte. Nach dieser Erkenntnis war es ihr ein besonderes Bedürfnis, diese Dummheit wieder gutzumachen. Mit gemischten Gefühlen brach sie auf. Im Stall herrschte sehr viel Betrieb, der schnell von Anke Besitz ergriff. Kaum war sie aus dem Auto gestiegen, kamen fast alle Reiterkollegen auf sie zu und bombardierten sie mit Fragen über den Mord an Peter Biehler. Niemand wollte glauben, dass die Polizei dazu fähig sei, Robert eines Mordes zu beschuldigen. Mühsam wich Anke den Fragen aus, so gut sie konnte. Sie versuchte einfach, nicht mehr hinzuhören, bis der Stallbesitzer fragte: »Wie kannst du an Roberts Unschuld zweifeln?«
Erschrocken schaute Anke ihn an und entgegnete: »Wer behauptet denn so etwas?«
»Das behauptet niemand! Aber du zeigst mit deinem Verhalten, wie du darüber denkst!«
Diese Worte trafen Anke unvermittelt hart, zumal sie tatsächlich die letzten Stunden, ja sogar Tage, mit diesen quälenden, ungewissen Fragen und Zweifeln verbracht hatte. Sah man ihr so genau an, was sie wirklich dachte?
»Nur weil ich nicht über meine Arbeit sprechen darf, zieht ihr daraus eure Schlussfolgerungen. Das ist nicht fair«, war das einzige, was Anke zu ihrer Verteidigung sagen konnte. Diese Unterstellung drohte ihr für einige Augenblicke den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
Rasch entfernte sie sich von der neugierigen Meute, weil sie die nächste Reitstunde mit Rondo mitreiten wollte. Zielstrebig steuerte sie auf den Stall zu. Als sie Rondos Namen rief, hörte sie jedoch keine Antwort. Zaghaft ging sie weiter und rief wieder seinen Namen. Misstrauisch schaute Rondo ihr entgegen, wobei er seinen Kopf sehr hoch hielt und sie seitlich anblickte, dass das Weiß in seinem Auge zu sehen war. »Was ist denn los mir dir?« Da sah sie, dass Rondos Nüstern leicht bebten. »Kennst du mich nicht mehr?« Auf Ankes beruhigende Stimme legte sich sein Argwohn wieder. Langsam drehte er sich zu ihr um.
Mit einer Aufregung, als sei es ihre erste Reitstunde, stieg sie auf und ritt auf den Reitplatz. Rondo verhielt sich ebenfalls merkwürdig verkrampft unter ihr. Er spürte deutlich, dass Anke nicht locker im Sattel saß. Susanne Werth wartete jedoch auf sie und begann sofort mit ihren Kommandos, was Anke das Erlebnis am Vortag schnell vergessen ließ.
Robert kam vorgefahren. Er winkte ihr nur flüchtig zu und verschwand im Stall. Anke setzte ihre volle Konzentration ein, um die Kommandos der Reitlehrerin auszuführen, so dass sie keine Zeit hatte, über Roberts Erscheinen nachzudenken. Als sie nach der Stunde Rondo im Schritt trocken ritt, beobachtete sie, dass Robert mit Doris Sattler Nepomuk sattelte und wie die beiden sich dabei köstlich amüsierten.
Was hatte das wieder zu bedeuten?
Genau beobachtete sie die beiden, bis sie mit dem Pferd zum Reitplatz kamen. Doris stieg auf und ritt ganz dicht an Anke vorbei. Sie hielt an und zischte ihr hochnäsig zu: »Bilde dir bloß nichts mehr auf Robert ein, Dich hat er endgültig satt! Endlich hat er kapiert, dass ich die einzige bin, die ihm bedingungslos vertraut. Das ist nämlich genau das, was er jetzt braucht. Weißt du, ich käme niemals auf die Idee, Robert zum Mörder abzustempeln – so wie du.«
Dieser Angriff hatte Anke gerade noch gefehlt, dabei hatte sie für diese Reitstunde schon genug Tiefschläge hinnehmen müssen. Genügte es nicht, vom Stallbesitzer den Vorwurf gemacht zu bekommen, an Roberts Unschuld zu zweifeln? Aber nicht nur er hatte sie mit diesen Anspielungen angefeindet, die ganze Stallgemeinschaft zeigte mit ihrem ablehnenden Verhalten, dass sie von Ankes Haltung gegenüber Robert nichts hielten. Und nun musste auch noch Doris Sattler ihren Senf dazugeben. Ein Kloß stieg in ihren Hals. Robert hatte sie verraten. Er hatte mit Doris gesprochen und dabei nicht aufgepasst, was er sagte. Das konnte sie ihm noch nicht einmal übel nehmen, weil sie sich selbst dafür die Schuld gab. Sie hatte ihn mit ihren Bedenken konfrontiert und ihm damit wehgetan. Obwohl sie sich gestern nach ihm gesehnt hatte, hätte sie gegen ihr Gefühl gehandelt, wenn sie ihn nicht abgewiesen hätte.
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