Kullmann
Die zerstörerischen Gedanken hatten ganz von ihr Besitz ergriffen, sie schaffte es einfach nicht, sich dagegen zu wehren. Zu gern wollte sie Robert vertrauen, aber ihre Zweifel schoben sich vor ihre tief empfundene Zuneigung.
»Dein Vertrauen ist nichts wert«, schoss sie giftig zurück. »In deinem Fall ist es nämlich umgekehrt: Wer kann dir schon trauen?«
»Eifersüchtig, weil ich gut aussehe und du nicht?« Mit einem verächtlichen Blick wandte Doris sich von Anke ab.
»Wenn das alles ist, was du zu bieten hast …« bemerkte Anke in einem eisernen Ton, der ihre Verfassung nicht verriet.
Die Angst, Robert verloren zu haben, überwältigte sie. Leidvoll spürte sie, wie viel er ihr bedeutete. Sie liebte ihn und wollte ihn nicht verlieren.
Kurz entschlossen hielt Anke Rondo direkt vor Robert an, der am Rand des Reitplatzes stand, und meinte: »Heute geht es mir wieder viel besser!«
Roberts Augen glitten an ihr vorbei, als suchten sie Doris.
»Was hältst du davon, heute mit mir essen zu gehen?«
Etwas verwirrt schaute Robert auf Anke und überlegte eine Weile. Ihr kam die Zeit, die er zum Überlegen brauchte, viel zu lange vor, bis er endlich sagte: »Ich freu mich, dass es dir wieder besser geht. Gestern hast du ja wirklich sehr mitgenommen ausgesehen. Aber leider habe ich heute schon etwas vor. Ich rufe dich morgen an, einverstanden?«
Resigniert nickte Anke, weil sie keine Wahl hatte. Leise kam ihr der Verdacht, dass Robert für diesen Abend mit Doris verabredet war, was sie innerlich kochen ließ. Hoffentlich endet der Abend in einer Pleite, fluchte sie still vor sich hin.
Kaum war sie in ihrer Wohnung angekommen, rannte sie zur Mülltonne und fischte dort den Blumenstrauß wieder heraus. Unter dem Wasserhahn säuberte sie ihn, entfernte die verwelkten Blüten und arrangierte den gesunden Rest in einer kleinen Vase. Trotz der schlechten Behandlung sah der Strauß noch wunderschön aus und bildete einen Farbtupfer in Ankes chaotischer Wohnung. Zufrieden über diesen Anblick begann sie, getrieben von ihrer inneren Unruhe, die Wohnung aufzuräumen, was sich zu einem abendfüllenden Programm ausdehnte. Die Arbeit tat ihr gut, denn sie beseitigte damit nicht nur das Chaos in ihrer Wohnung.
*
Esche sah in den letzten Tagen morgens übernächtigt und mitgenommen aus. Als Kullmann ihn darauf ansprach, erhielt er nur feindselige und ausweichende Antworten. Die aggressive Stimmung des eifrigen Kollegen machte ihn vorsichtig. Auf Kullmann wirkte er wie ein Pulverfass, das durch den geringsten Auslöser explodieren könnte. Diese Verwandlung schien ihn seit Robert Spenglers Freilassung ergriffen zu haben, was Kullmann sehr argwöhnisch stimmte. Unweigerlich tauchte die Frage in ihm auf, was die Festnahme von Robert Spengler für Esche wirklich bedeutete.
Das veranlasste ihn dazu, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und die Nummer des Polizeipräsidiums in Köln zu wählen. Er musste endlich dieses Gespräch führen, um Klarheit zu bekommen. Leider gelang es ihm an diesem Morgen nicht, etwas über Horst Esches Versetzungsgrund in Erfahrung zu bringen, weil der zuständige Mitarbeiter nicht anwesend war. Also musste Kullmann sich bis zum Nachmittag gedulden, weil er den neuen Kollegen nicht persönlich dazu befragen wollte. Viel zu impulsiv war dieses Gespräch verlaufen, so dass er sich keine sachliche Antwort von ihm versprach.
Also ging er zu seinem nächsten Plan über, nämlich zu Steven Dienhardt zu fahren und ihn zu befragen. Er versprach sich davon, dass dieser junge Mann die Ermittlungen in eine völlig andere Richtung lenken konnte.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Jürgen Schnur fuhr er los.
Steven Dienhardt lebte auf der Folster Höhe, einer Wohngegend, die aus Blöcken von Hochhäusern bestand, die am erhöhten Rande der Stadt lag. Je näher sie den Hochhäusern kamen, desto trostloser wurde die Gegend. Die Häuser wirkten ungepflegt und verwahrlost mit abbröckelndem Putz, Balkone wurden als Rumpelkammern benutzt, viele hatten ihre Wäsche zum Trocknen dort aufgehängt. Viele Fenster waren durch Spanplatten ersetzt worden. Vereinzelte Bewohner versuchten, den grauen Widrigkeiten zu trotzen, indem sie Geranien auf dem Balkongeländer anpflanzten. Diese bunten Farbtupfer stachen in der Verwahrlosung dieser Wohngegend besonders hervor. Das Einzige, was Kullmann diesem Stadtteil positiv abgewinnen konnte, war die herrliche Aussicht. In aller Deutlichkeit hatte man von der Anhöhe aus über
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