Kullmann
wenn du schläfst!«
»Und wenn ich wach bin?«
»Dann siehst du besonders schön aus«, lachte Robert, womit es ihm gelang, Anke das Aufstehen zu erleichtern. Im Sonnenschein frühstückten sie auf dem Balkon und ließen sich ausgiebig Zeit dabei. Am liebsten wäre Anke gar nicht mehr nach Hause zurückgefahren, weil sie Angst vor sich selbst hatte, wenn sie in ihre stille, leere Wohnung kam. Sie fürchtete sich vor quälenden Gedanken, die sich wie schleichendes Gift in ihr ausbreiteten, sobald sie allein war.
Anstatt allein in ihrer Wohnung zu bleiben und sich den Kopf zu zermartern, wollte sie lieber in den Stall fahren. Eine Reitstunde wäre jetzt das beste Mittel, einen klaren Kopf zu bekommen. Genau das brauchte sie jetzt. Also zog sie sich zuhause um und machte sich auf den Weg.
In der Frühe war alles ganz still. Die Stallburschen waren damit beschäftigt, die Boxen der Pferde auszumisten, Der Stallbesitzer fuhr mit seinem Traktor und seinem Heuwender los. Die einzige Reiterin, die ihr Pferd schon gesattelt hatte, war Susanne, die Reitlehrerin. Sie staunte nicht schlecht, als sie Anke kommen sah.
»Ich möchte heute gern Rondo reiten«, erklärte Anke ihr Anliegen so bestimmt, dass Susanne nichts entgegnete. Sie nickte nur, öffnete Anke die Sattelkammer und verschwand mit ihrem Pferd in der Reithalle.
Anke war überrascht über ihr selbstbewusstes Auftreten, weil sie sich innerlich gar nicht sicher fühlte. Im Gegenteil, sie spürte ein leichtes Zittern und eine ziellose Anspannung. Diesen Zustand hoffte sie mit Hilfe von Rondo zu ändern. Aber kaum hatte Anke seine Box betreten, bewegte er sich hektisch hin und her, schnappte nach dem hingehaltenen Apfel, als befürchtete er, von Anke geschlagen zu werden.
»Was hast du denn, mein Junge?«, fragte Anke überrascht über dieses Verhalten. Mit ruhigen Bewegungen ging sie auf das nervöse Tier zu, streichelte es am Hals und gab ihm eine Möhre, die Rondo nun zufriedener und gelassener auffraß. Anschließend führte sie ihn hinaus in die Sonne, wo sie ihn anband. Rondos Fell glänzte in der Sonne. Es machte Anke in diesem Moment besonders viel Spaß, das brave Tier zu putzen, weil sie ganz allein am Stall war. Niemand, der sie mit Fragen bombardierte, niemand, der ihr spitze Bemerkungen zuflüsterte, niemand, der ihr die Laune verderben konnte. Voll und ganz konzentrierte sie sich auf den ruhigen Wallach, sattelte und trenste ihn und führte ihn zum Reitplatz. Zum Glück ritt die Reitlehrerin in der Halle, so konnte Anke ungestört reiten.
Mit einer Anspannung, die sie sich nicht erklären konnte, stieg sie auf und ritt eine Weile im Schritt, bevor sie die Zügel aufnahm und zu traben begann. Rondo schien ebenfalls sehr angespannt zu sein, nichts war von dem ruhigen, gelassenen Pferd zu spüren, das Anke sonst kannte. Was war nur mit ihm los? Sie hatte sich so sehr auf eine Reitstunde mit ihm gefreut. Sollte diese nun an Rondos Laune scheitern? Ankes Hände packten die Zügel fester und ihre Beine drückten sehr unsanft gegen die Flanken des Pferdes, um dem Wallach zu zeigen, was er tun sollte. Aber Rondo wurde bockig und widersetzte sich ihren Hilfen. Plötzlich befand sie sich in einem Machtkampf mit dem Tier. Mal sehen, wer sich am Ende hier durchsetzen kann, überlegte Anke erbost und wurde noch härter mit ihren Händen und ihren Schenkeln. Aber das Ergebnis kehrte sich ins Gegenteil von dem, was sie erreichen wollte. Rondo sprang zur Seite, schüttelte unwillig den Kopf und ging in eine andere Richtung, als Anke ihm vorgab. Nun wurde Anke erst recht wütend, packte die Zügel so fest und trat ihm so fest in die Flanken, damit er endlich gehorchte. Mit einem überraschenden Satz sprang Rondo in die Luft, buckelte wie ein Rodeopferd und rannte wie von der Tarantel gestochen über den großen Reitplatz. Damit hatte Anke nicht gerechnet. Sie verlor ihren Sitz im Sattel, rutschte zu weit nach vorne, so dass die Zügel, die sie fest umklammert hielt, locker herunterhingen. Sie schlang ihre Arme um den Hals des Pferdes, um sich festzuhalten. Aber nach einigen Runden wilden Galopps rutschte sie an der Seite herunter. Ihre Hände krampften sich immer noch fest um die Zügel. In dieser Situation schaffte sie es nicht, sie zu öffnen und die Zügel loszulassen, wodurch ihr Sturz noch schlimmer wurde. Rondo zog Anke mehrere Runden hinter sich her, bis er endlich langsamer wurde und stehen blieb. Anke hatte die Augen fest geschlossen. Sie wagte es gar nicht,
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