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Kullmann

Kullmann

Titel: Kullmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Schwab
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sie zu öffnen und nachzusehen, ob ihr etwas fehlte. Viel zu sehr war sie erschrocken. Doch als sie Rondos Nüstern an ihrem Hinterkopf spürte und plötzlich seine Zunge, die ihr durchs Genick leckte, öffnete sie die Augen und stellte erleichtert fest, dass sie unverletzt war. Von Kopf bis zu den Füßen klebte Sand des Reitbodens an ihr, der außerdem in ihre Reitkleider gedrungen war. Es juckte sie am ganzen Körper. Als sie sich umdrehte und direkt in Rondos Gesicht sah, musste sie sogar lachen. Im ersten Moment hatte sie schon den Eindruck gehabt, Rondo machte ein besorgtes Gesicht. Aber wie sollte das möglich sein, wo er sie doch nach allen Regeln der Kunst abgeworfen hatte?
    Schwerfällig stand sie wieder auf. Sie zitterte am ganzen Körper. Bei dem Gedanken wieder aufzusteigen, kroch Angst in ihr hoch. Gerade deshalb war es sehr wichtig für sie, gleich wieder aufzusteigen, denn sonst blieb die Angst in ihr sitzen. Also bemühte sie sich wieder in den Sattel. Für den Rest ihrer Stunde beschloss sie allerdings, es ruhiger anzugehen. Ganz versöhnlich ritt sie nur noch im Schritt und Trab. Nun ging Rondo auch wieder sehr gelassen und zufrieden unter ihr, deshalb dauerte es nicht lange, bis Anke sich wieder wohl fühlte auf seinem Rücken. Nun erst konnte sie absteigen und das Pferd versorgen.
    Nach diesem enttäuschenden Intermezzo fuhr sie wieder zurück in ihre kleine Wohnung. Kaum war sie dort angekommen, geschah genau das, was sie mit dieser Reitstunde zu vermeiden versucht hatte. Der Sturz vom Pferd hatte ihr inneres Chaos verstärkt. Während sie sich auszog und in die Duschkabine stieg, spürte sie tiefe Niedergeschlagenheit. Dieser Abwurf passte genau in ihre derzeitige Verfassung, dachte sie zerknirscht. Es kam ihr so vor, als würde ihr Leben Stück für Stück demontiert: Kurz nach Esches Übergriff war sie von Kullmann – ausgerechnet von Kullmann – gebeten worden, sich beurlauben zu lassen. Anschließend wurde Robert nach allen Regeln der Kunst wie ein Hauptverdächtiger behandelt. Dadurch nistete sich ein quälender Verdacht gegen ihren Willen in ihrem Kopf ein, der ihre Beziehung zu Robert erschwerte. Und nun diese ernüchternde Erfahrung mit Rondo auf dem Reitplatz. Es kam ihr so vor, als sei dieser Abwurf geschehen, um ihr das Ausmaß ihrer derzeitigen Situation vor Augen zu führen.
    Nach einer ausgiebigen Dusche sah sie, dass ihre rechte Seite übersät war mit Kratzern und Schrammen, die sich mit brennenden Schmerzen meldeten. Behutsam versorgte sie die Abschürfungen mit einer Wundsalbe, eine Beschäftigung, die sie, so gut sie konnte, in die Länge zog, weil sie Angst davor hatte, durch Nichtstun ins Grübeln zu geraten. Ihre äußeren Blessuren konnte sie versorgen, aber den Rest des Tages verbrachte sie mit selbstquälerischem Nachdenken. Neben ihrer beunruhigenden Situation auf der Dienststelle bedrängten sie zusätzlich Zweifel, ob ihre Entscheidung, reiten zu lernen, wirklich die richtige gewesen war. Damit hatte sie sich Zerstreuung gönnen wollen, aber das Gegenteil hatte sie erreicht. Einerseits stockten ihre reiterlichen Fähigkeiten mehr, als sie sich das vorgestellt hatte; andererseits hatte ihre Arbeit sie genau dorthin verfolgt, was sie in einen unerträglichen Zwiespalt geraten ließ.
    Während sie lustlos zwischen dem fest verschlossenen Fenster, das zur Straße zeigte, und ihrer Sitzgruppe pendelte, schaute sie sich in der Wohnung um. Dort sah es so unordentlich aus wie noch nie. Das Chaos, das sich ihr bot, glich dem Gefühlschaos, das sich in ihr breitgemacht hatte. Ständig kreisten ihre Gedanken um die vielen gegensätzlichen Erlebnisse mit Robert. Einerseits war er ein einfühlsamer und liebevoller Mann, der ihr all das gab, wonach sie sich immer gesehnt hatte. Aber er besaß auch eine andere Seite. Die Streitgespräche zwischen Biehler und Robert konnte sie nicht einfach ignorieren, sie hatten tatsächlich stattgefunden und waren wirklich nicht harmlos verlaufen. Biehler hatte damit gedroht, dass er Robert eine Straftat nachweisen wollte, aber Robert hatte Biehler nicht weniger bedroht. Roberts Drohung wusste Anke noch ganz genau:  Und du solltest mich nicht unterschätzen! Wenn du wirklich meinst, mir Schwierigkeiten machen zu müssen, dann wirst du mich mal kennen lernen.  Hatte Peter Biehler Robert wirklich kennen gelernt?
    Nein, so etwas durfte sie einfach nicht denken, niemals, tadelte sie sich selbst! Robert war genau der Mann, den sie in ihm sehen

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