Kullmann
Parkettboden wechselte zwischen dunkler Eiche, rotem Kirschbaumholz und hellem Kiefernholz, was dem Raum eine warme Ausstrahlung verlieh. Die hohen Regale waren mit unzähligen alten Büchern vollgestellt, darunter eine große Anzahl mit einem faltigen Lederrücken. Trotz der Schönheit dieses Raumes war er sogar an einem sonnigen Tag wie diesem sehr dunkel. Die Fensternischen waren zu klein, um genügend Licht hereinzulassen. Der Kronleuchter, der prächtig von der hohen Decke herabhing, musste eingeschaltet werden und kam mit all seiner Pracht zur Geltung. Die Mitte des Zimmers schmückte ein Schreibtisch aus Nussbaumholz, der auf vier mit Intarsien verzierten Streben stand. An diesem Tisch ließen sich die beiden Männer nieder.
»Na, Norbert. Wie fühlt sich ein großer Kriminalbeamter in dieser bescheidenen Hütte?«
Bevor Kullmann antwortete, ließ er in aller Ruhe die Bilder seines eigenen Hauses vor seinen Augen passieren. Er wohnte im Stadtteil Schafbrücke direkt an der stark befahrenen Kaiserstraße. Doch kaum hatte er sein Domizil betreten, tauchte er in eine andere Welt ein. Auf der Rückseite seines Hauses befanden sich eine Terrasse und ein kleiner Garten, die von einer Stille eingehüllt wurden, sodass nichts mehr an die Hektik der Hauptstraße erinnerte. Dieses Fleckchen Erde war seine Oase zum Abschalten, Entspannen und neue Energie tanken. Bisher diente ihm das Erlebnis, vom pulsierenden Leben der Kaiserstraße in die harmonische Stille, die vom Grumbachtal ausging, einzutauchen, als innerer Ausgleich zu seiner belastenden Arbeit. Aber bald würde diese kleine Welt seinen Lebensabend bestimmen, was ihn mit einer unbändigen Vorfreude erfüllte. Das konnte Kurt Spengler mit all seinem Luxus nicht übertreffen.
»Ich fühle mich stark, weil ich nichts Unrechtes getan habe«, erwiderte Kullmann kalt. »Ich kann jeden Morgen gut in den Spiegel schauen!«
»Da siehst du aber nichts Beneidenswertes«, lachte Kurt. »Du bist doch der klassische Verlierer. Vierzig Jahre ist es nun her, dass Luise sich für mich entschieden hat und du trauerst immer noch hinter ihr her. Noch nicht einmal eine eigene Ehe hast du fertig gebracht, nur diesen stumpfsinnigen Beruf, wo man sich nur mit Leichen beschäftigt. Vermutlich ist das dein bester Umgang, weil Leichen keinen mehr enttäuschen können.«
Kullmann schaute ihm geduldig entgegen. Kurt konnte ihn nicht mehr verletzen, weil er zu viel belastendes Material in den Händen hielt. Zwar brachte ihm das Luise nicht mehr zurück, aber so konnte er erreichen, dass ihr Mörder gefasst wurde.
»Bist du nun fertig mit deinen Beleidigungen?«
Kurt nickte und staunte über Kullmanns Gelassenheit.
»Warum wollte Luise sich von dir scheiden lassen?«, begann Kullmann mit seinen Fragen.
»Oh, davon wusste ich nichts«, reagierte Kurt prompt.
»Warum bist du auf Lügen angewiesen?«, ließ Kullmann sich nicht beirren.
Kurt Spengler zog sich in Schweigen zurück, ein gutes Zeichen für Kullmann.
»Das weiß ich so genau, weil du über die Scheidungsabsicht deiner Frau schon mit dem Anwalt Bertram Klose gesprochen hast.«
»Du bluffst! Bertram Klose ist schlau genug zu wissen, dass er besser die Schweigepflicht einhält«, konterte Spengler in eisigem Tonfall.
»Bertram Klose ist wirklich schlau«, amüsierte Kullmann sich nun sogar. »Er weiß genau, wann er von der Schweigepflicht enthoben ist – nämlich dann, wenn Gefahr im Verzug ist.«
Nun schwieg Kurt Spengler eine Weile, bis er endlich sagte: »Was willst du eigentlich? Luise kannst du nicht mehr zurückgewinnen, sie ist tot. Willst du mir beweisen, dass du mir ein ebenbürtiger Gegner sein kannst?«
Kullmann schwieg.
»Aber das schaffst du nicht! Du hast nicht den Kampfgeist, nicht die Kraft; an mich kommst du nicht ran. Es ist doch nur ein verzweifelter Versuch, dich für das zu entschädigen, was ich dir damit angetan habe, als ich dir Luise wegschnappte.«
Kullmann blieb immer noch still, was Kurt dazu veranlasste, weiterzureden, weil er das Schweigen schwer ertragen konnte: »Damals, als Luise zu mir kam, hat sie dich immer belächelt. Nie hatte sie ein schlechtes Wort über dich gesagt, dazu war Luise zu charaktervoll. Dafür nannte sie dich immer einen treuen Teddybär. Sie meinte, du warst für sie so etwas wie ein lieber Bruder, der immer da ist, wenn man ihn braucht, immer hilfsbereit und selbstlos.«
Spengler grinste: »Ja, so hat sie dich beschrieben. Ich fand das wirklich süß. Ich
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