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Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur

Titel: Kultur 04: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Banks
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Zweck als Testobjekt doch
erfüllt.«
    »Diziet, du weißt, daß das nicht wahr ist. Wir
sprechen mindestens über die nächsten zehntausend Jahre,
nicht über die bleierne Zeit bis zum Dritten Weltkrieg. Es geht
nicht um die Möglichkeit, ihn aufzuhalten; es geht darum, ob es
auf sehr lange Sicht richtig ist, das zu tun.«
    »Großartig«, flüsterte ich in die wirbelnden
dunklen Fluten des Mains. »Wie viele Kinder müssen also im
Schatten der Pilzwolke aufwachsen und möglicherweise im
brüllenden Innern der radioaktiven Bruchmasse sterben, nur damit
wir sichergehen können, daß wir das Richtige tun? Wie
sicher müssen wir unserer Sache sein? Wie lange wollen wir
warten? Wie lange wollen wir sie warten lassen? Wer hat uns
zur göttlichen Instanz erwählt?«
    »Diziet«, sagte das Schiff mit kummervoller Stimme,
»diese Frage wird andauernd gestellt und auf so viele
verschiedene Weise formuliert, wie wir den Verstand haben, uns
auszudenken… Und diese moralische Gleichung wird in jeder
Nano-Sekunde eines jeden Tages in jedem Jahr neu aufgestellt, und
jedesmal wenn wir einen Ort wie die Erde finden –
gleichgültig, wie die Entscheidung ausfällt –, kommen
wir der Erkenntnis der Wahrheit ein Stückchen näher. Aber
wir können niemals vollkommen sicher sein. Die absolute
Sicherheit steht nicht einmal als Menü zur Auswahl, meistens
jedenfalls nicht.« Es entstand eine Pause. Schritte
näherten und entfernten sich hinter mir auf der Brücke.
    »Sma«, sagte das Schiff schließlich, und in seiner
Stimme klang eine Spur von Wut und Enttäuschung mit, »ich
bin im Umkreis von hundert Lichtjahren das klügste Wesen –
und zwar mit einem Multiplikationsfaktor von etwa einer Million
–, aber selbst ich kann nicht voraussagen, wo ein Billardball
nach mehr als sechs Karambolagen landet.«
    Ich schnaubte durch die Nase; fast hätte ich gelacht.
    »So«, sagte das Schiff, »ich glaube, jetzt solltest
du dich allmählich auf den Weg machen.«
    »Ach?«
    »Ja. Ein Passant hat der Polizei über eine Frau auf der
Brücke berichtet, die mit sich selbst spricht und ins Wasser
starrt. Ein Beamter ist zur Ermittlung unterwegs; wahrscheinlich
überlegt er sich bereits, wie kalt das Wasser wohl sein mag, und
deshalb meine ich, du solltest dich nach links wenden und klugerweise
das Weite suchen, bevor er eintrifft.«
    »Da hast du recht«, sagte ich und schüttelte den
Kopf, während ich in dem trüben Licht davonspazierte.
»Komische alte Welt, findest du nicht, Schiff?« sagte ich
mehr zu mir selbst als zu ihm.
    Das Schiff erwiderte nichts. Die Hängebrücke, so
groß sie auch war, reagierte auf die Schritte meiner
Füße und bewegte sich im Rhythmus mit mir auf und ab wie
ein gigantischer tolpatschiger Liebhaber.

 
    5.2: Unliebsame Reisebegleiterscheinungen
     
    Zurück auf dem Schiff.
    Für einige Stunden hatte die Willkür die
Schneeflocken der Welt ungestört gelassen und auf Lis Wunsch hin
andere Musterexemplare gesammelt.
    Als mich Li zum erstenmal auf dem Schiff traf, kam er dicht an
mich heran und flüsterte mir zu: »Nimm ihn mit in den Film Der Mann, der vom Himmel fiel«, dann huschte er davon.
Als ich ihm das nächstemal begegnete, behauptete er, daß
es das erstemal wäre und daß ich unter Halluzination
leiden müßte, wenn ich mir einbildete, wir hätten uns
schon mal gesehen. Eine nette Art und Weise sei das, einen Freund und
Bewunderer zu begrüßen, indem man ihm unterstellte, er
wäre herumgewandert und hätte geheimnisvolle Botschaften
geflüstert…
    Also; in einer mondlosen Novembernacht, auf der Schattenseite
über dem Tarim-Becken…
     
    Li gab eine Dinnerparty.
    Er versuchte immer noch, Captain der Willkür zu
werden, doch anscheinend brachte er seine Vorstellungen von Rang und
Demokratie etwas durcheinander, denn er glaubte, der beste Weg, um
›Skipper‹ zu werden, wäre der, daß er uns alle
dazu brächte, für ihn zu stimmen. Es handelte sich also um
eine Wahlveranstaltung.
    Wir saßen im unteren Hangarraum, umgeben von unserer
Hardware. Etwa zweihundert Leute waren im Hangar versammelt; alle,
die sich noch auf dem Schiff befanden, hatten sich eingefunden, und
viele hatten eigens zu diesem Anlaß ihren Aufenthalt auf dem
Planeten unterbrochen. Li hatte uns alle um drei riesenhafte Tische
Platz nehmen lassen, von denen jeder zwei Meter in der Breite und
mindestens das Zwanzigfache davon in der Länge maß. Er
hatte darauf bestanden, daß es richtig ordentliche Tische sein
sollten, vollständig mit

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