Kultur 08: Der Algebraist
alles
hatte seine Grenzen. Was sie tun konnten, würde niemals
ausreichen. Ulubis war unterlegen. Man konnte kämpfend
untergehen, aber untergehen würde man in jedem Fall.
»Es könnte nicht schlimmer sein!«, zischte General
Thovin von den Sicherheitskräften so erbost, dass er fast seinen
ganzen Drink versprühte. Das Gespräch fand im Orbit um
Nasqueron statt, auf einem requirierten ehemaligen Kreuzfahrtschiff,
einem der Unterstützungsschiffe der Abordnung. Saluus und
Submeister Sorofieve von der Propylaea waren vom Kriegskabinett
entsandt worden, um bei den Verhandlungen mit den Dwellern
womöglich noch etwas mehr Druck zu machen. Thovin, der von
seinen Verpflichtungen bei den Sicherheitskräften freigestellt
und zum Oberbefehlshaber der Orbitalstreitkräfte von Ulubis
ernannt worden war, hatte die Verantwortung für die nur leicht
bewaffnete Eskorte. Damit war er aus dem Weg und konnte nicht viel
Schaden anrichten. Sein wohlklingender neuer Titel wog das Fehlen
einer schlagkräftigen Artillerie offenbar fast völlig
auf.
»Wir können nicht einmal vor den Hungerleidern
kapitulieren«, sagte er, »sonst beziehen wir Prügel,
wenn die Generalflotte eintrifft. Dann sind wir zweimal
angeschissen!« Er stürzte den Rest seines Drinks
hinunter.
Saluus konnte Thovin nicht leiden – er war einer von den
Männern, die durch Glück, Beziehungen, nachsichtige
Vorgesetzte und jener Gleichgültigkeit gegenüber anderen,
die von leicht zu Beeindruckenden als Skrupellosigkeit und von
weniger Leichtgläubigen als Soziopathie bezeichnet wurde, an die
Spitze einer Organisation gelangt waren. Aber manchmal polterte er
einfach los, ohne die Folgen bedenken, und dann sprach er genau das
aus, was alle anderen nur dachten. Wie ein Komödiendichter, der
in die Obszönität abrutschte.
»Wir haben keine Veranlassung, an Kapitulation zu
denken«, sagte Submeister Sorofieve schnell und schaute, Sal
konstatierte es belustigt, tatsächlich über die Schulter
nach links und nach rechts, um sich zu vergewissern, dass auch
niemand sonst im Foyer des alten Schiffes das ›K‹-Wort
gehört hatte. Aber bis auf einige Kellner an der Bar, die drei
Männer und etwa ein halbes Dutzend ihrer engsten Mitarbeiter war
niemand im Raum. (Saluus hatte Liss mitgebracht, seine geheimnisvolle
Schönheit. Sie schwieg meistens, wechselte nur gelegentlich ein
paar leise Worte mit den anderen Assistenten, Sekretären und
Adjutanten. Als sich der Submeister der Propylaea so auffällig
umschaute, begegnete Sal ihrem Blick; sie zog lächelnd die
Augenbrauen in die Höhe.)
Wenn es hier Spitzel gab, dachte Sal, dann lauerten sie nicht im
Schatten hinter den Möbeln, sondern saßen mit in der
Runde. Die unentbehrlichen Berater und Helfer, ohne die sie alle ihr
ach so wichtiges Leben nicht mehr führen konnten, waren die
naheliegendsten Verdächtigen. Sollte dem Hierchon – oder
irgendeinem untergeordneten, aber immer noch wichtigen Zweig der
Ulubis-Merkatoria – jemals etwas von Kapitulation oder anderen
als unaussprechlich geltenden Themen zu Ohren kommen, dann wäre
das wahrscheinlich einem von diesen Leuten zu verdanken.
Saluus wusste, dass es keine hundertprozentige Gewissheit gab,
aber er war weitgehend überzeugt, dass die schöne Liss
nicht für jemand anderen arbeitete. Gleich zu Anfang ihrer
Beziehung hatte er sich scheinbar versehentlich ein paar Geheimnisse
entschlüpfen lassen, die, wäre sie in anderen Diensten
gestanden, wohl den Weg zu ihm zurückgefunden hätten. Ihre
Bekanntschaft mit Fassin, die offensichtlich schon Jahrzehnte
zurückreichte, war so etwas wie eine Empfehlung gewesen. Viel zu
umständlich, nur um sie bei irgendeinem Industriellen zu
platzieren, und sei es auch Saluus Kehar.
»Keine Veranlassung?«, fragte Thovin. Er wandte sich an
seine Sekretärin, hob auffordernd sein Glas und zwinkerte ihr
theatralisch zu. »Wir würden nur darüber reden,
wenn die Generalflotte nicht hierher unterwegs wäre. Es
wäre die vernünftigste Lösung.« Er schnaubte.
»Damit will ich nicht sagen, dass wir kapitulieren sollten. Wir
haben Befehl, zu kämpfen bis zum letzten Mann, aber wenn die
Flotte nicht käme und wir nicht nach diesem… diesem Ding suchten, das irgendwo auf Nasq sein soll.« (Er meinte
natürlich die legendäre Transformation, dachte Saluus. Die
mythische Zauberformel, hinter der Fassin wohl immer noch herjagte,
falls er noch lebte.) »Natürlich würden wir
überlegen, wie wir dem Tod entgehen könnten, was
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