Kultur für Banausen - alles was Sie wissen müssen, um mitreden zu können
Realität. So klagten besonders die Vertreter der Philosophie der Aufklärung.
Dabei haben sich Menschen Geschichten erzählt, seit siedenken und sprechen können. Der angeblich blinde Dichter Homer (8. Jh. v. Chr.), griff in seinen epischen Dichtungen »Odyssee« und »Ilias« auf Geschichten zurück, die schon seit hunderten von Jahren von Generation zu Generation weitererzählt worden waren – in gereimter Form, vermutlich von Musik begleitet, weshalb man im Deutschen von »Gesängen« spricht. Homer steht ganz am Anfang der Literaturgeschichte, weil er als Erster den Text dieser Gesänge niedergeschrieben hatte. Und nicht nur das macht ihren literarischen Wert aus. An Homers »Ilias« und seiner »Odyssee« lässt sich ein Prinzip von Literatur erkennen, nämlich dass sie immer wieder auf sich selbst verweist. Bis heute verarbeiten Schriftsteller Motive Homers. Und noch ein zweites Grundprinzip der Literatur wird deutlich: Die Ereignisse haben sich in dieser Form nie abgespielt, selbst wenn es vielleicht eine geschichtliche Grundlage gibt. Sie sind erfunden. Die Literaturwissenschaftler sprechen hier von Fiktionalität.
Was ist gute Literatur?
Einer der Gründe, warum ein Viertel der Deutschen keine Bücher liest, liegt vermutlich darin, dass diese Menschen Literatur für langweilig halten. Das fängt schon im Kindesalter an. Besonders bei Jungen gilt Lesen als uncool. Ein Kollege von uns will einmal folgenden Dialog zwischen einem Buben mit Migrationshintergrund und seinem Mitschüler, der in einen »Harry-Potter«-Band vertieft war, belauscht haben. »Ey, Alder, was machst’n?« »Ich lese!« »Lesen? Ey, Alder, biste schwul oder was, Alder?« In dieser rhetorischen Frage drückt sich, nun ja, ein gewisser Mangel an Verständnis für die Faszination von Literatur aus. Allerdings haben die »Harry Potter«-Bände und die Vampir-Reihe »Bis(s) zu-welcher-Tageszeit-auch-immer« hunderttausende Jugendliche zum Buch greifen lassen – zugegeben, zumindest im letzteren Fall hauptsächlich Mädchen. Manche Pädagogen rümpfen die Nase, wenn sie auf solche Lektüre angesprochen werden. »Das ist Trivialliteratur«, pflegte mein Deutschlehrer zu fast allem zu sagen, was ich spannend fand. Stattdessen mussten wir in der Schule stinklangweilige Sachen lesen, jedenfalls aus Sicht von pubertierenden Jugendlichen, zum Beispiel Goethes Drama »Iphigenie auf Tauris« und Max Frischs »Homo Faber«. Solch schulische Pflichtlektüre kann bleibende Schäden bei der Leselust für den Rest des Lebens hinterlassen. So kann ich bis heute die Bücher von Max Frisch nicht ausstehen, obwohl ich damit dem Autor sicherlich schrecklich unrecht tue.
Deshalb soll gleich zu Beginn dieses Kapitels die typisch deutsche Unterscheidung in gute, aber leider langweilige und schwer verständliche Literatur einerseits, und in schlechte, aber spannende Literatur andererseits über Bord geworfen werden. Es wäre viel klüger, Bücher danach zu beurteilen, ob sie die Qualitätskriterien ihres eigenen Genres erfüllen. Das bedeutet, ein Unterhaltungsroman ist nicht gescheitert, wenn er keine sprachlichen Experimente wagt, sondern wenn er langweilt. Ein Werk der postmodernen Literatur wäre hingegen ungerecht beurteilt, wenn man darin eine spannende, linear erzählte Geschichte vermissen würde.
Vor einigen Jahren fragte das Zweite Deutsche Fernsehen seine Zuschauer nach ihren Lieblingsbüchern. 250000 Menschen antworteten. Auf Platz eins schaffte es J. R. Tolkiens Fantasy-Romantrilogie »Der Herr der Ringe«. Auf Platz drei (nach der Bibel) folgte Ken Folletts »Die Säulen der Erde«, ein gut recherchierter Historienroman über den mittelalterlichen Kathedralenbau in England. Mein Deutschlehrer wäre wahrscheinlich erst mit Platz sechs einverstanden gewesen, nämlich Thomas Manns »Die Buddenbrooks«. Auf den hinterenPlätzen regierte wohl ein wenig der Zufall, denn es erschließt sich nicht ganz, warum Jane Austens »Stolz und Vorurteil« auf Platz 17 folgte, Emily Brontës »Sturmhöhe« jedoch erst auf Platz 83. Der einzige Grund dafür könnte sein, dass zum Zeitpunkt der Befragung gerade eine Verfilmung von »Stolz und Vorurteil« im Kino lief.
Die Liste der 100 beliebtesten Romane der Deutschen ist so vielfältig wie die Literatur selbst. Das Werk eines Nobelpreisträgers steht neben dem einer Unterhaltungsautorin. Die Liste lehrt uns deshalb vor allem eines: Am wichtigsten ist es, Freude an der Lektüre zu haben. Literatur führt
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