Kumpeltod: Nachtigalls achter Fall (German Edition)
vielen Hundert Menschen, die im
Evakuierungsbereich wohnten. Die Presse war informiert worden, das Radio sorgte
seit dem Vortag dafür, dass die ganze Stadt erfuhr, die Thiemstraße sei am
kommenden Morgen für jeden Verkehr gesperrt.
In den
ersten Morgenstunden sicherte die Polizei den Straßenabschnitt, die Routen für
Straßenbahn- und Buslinien wurden geändert. Beamte streiften durch die
Wohnblocks, um sicherzustellen, dass wirklich alle Wohnungen geräumt waren.
Der
Versuch, die Bombe zu entschärfen, konnte pünktlich beginnen.
Dr. Rupert Ahrendt arbeitete in
seiner Kanzlei. Gelegentlich, wenn er von den Akten oder dem Monitor aufsah,
wanderte sein Blick besorgt über die Dächer seiner Stadt.
»Hoffentlich
fliegt nicht die ganze Wohnscheibe in die Luft«, meinte er nervös zu seiner
Sekretärin. »Meine Frau wollte keinen Koffer packen – so mit
den wichtigsten Dingen, Sie wissen schon. Da kommt eben ihr grenzenloser
Optimismus zum Tragen.«
»Und
der Hund? Haben Sie den zu Hause gelassen?«
Dr.
Ahrendt schüttelte den Kopf. »Nicht doch! Wenn man mir sagt, es wäre möglich,
dass die Bombe von gegenüber meine Wohnung und meine Habe pulverisiert, werde
ich doch Amanda nicht in einer solchen Gefahrenzone zurücklassen.«
»Wo ist
sie denn?«
»Im
Auto. Sie wissen doch, dass bei Ahrendt und Partner der Partner eine
Hundephobie hat.«
»Ach,
nein. Sie kann doch zu uns kommen. Ist doch eine Ausnahme!«
Der
Rechtsanwalt fuhr schmunzelnd durch seine wet gestylten, blond gesträhnten
Haare und strich sie fest nach hinten, damit sie eine harmonische Einheit mit
den ebenfalls in Form rasierten Koteletten bilden konnten, die zuerst schmal am
Ohr begannen und sich dann auf den Wangen verbreiterten.
»Ach,
Frau Schneider.« Er zwinkerte ihr zu, und in seinen intensiv blauen Augen
funkelte Schalk. »Das war natürlich nur ein Scherz. Amanda sitzt unter dem
Tisch. Ich warte die Nachrichten ab und bringe sie nach der hoffentlich
kommenden Entwarnung schnell nach Hause.«
Frau Schneider
ging in die Hocke. Begegnete dem klugen Blick der Hündin, die von der Bombe und
der Gefahr, ihr Zuhause zu verlieren, nichts ahnte.
»Wann
ist denn klar, wie es weitergeht?« Frau Schneider rappelte sich wieder hoch,
wobei der enge Rock sie deutlich behinderte.
Dr.
Ahrendt sah auf seine Uhr. »Jetzt. Entweder sie kriegen es doch noch hin, den
Zünder auszubauen und die Bombe zu entschärfen – oder
eben nicht. Dann wird im Zweifel vor Ort gesprengt.« In die unangenehme Stille
hinein setzte er energisch hinzu: »Ich bin für die erste Variante!«
»Dann
werde ich mal das Radio einschalten, den Stadtsender. Die haben doch sicher
zuerst die wichtigsten lokalen Informationen.«
Der
besorgte Anwalt nickte.
Die
Sekretärin rang ein Lächeln nieder und drückte den Powerknopf.
Ihr war
es immer wieder ein Rätsel, wie es sein konnte, dass sich der private Dr.
Ahrendt so fundamental vom beruflichen unterschied. In seinem nichtberuflichen
Leben war ihr Chef eher von ängstlicher Natur, witterte überall Probleme oder
gar Katastrophen. Und vor Gericht? Im kompliziertesten Strafverfahren?
Selbstbewusst, sicher und überlegen. Unglaublich, dachte Frau Schneider,
wirklich unglaublich.
Amanda schien den
Stimmungswechsel zu spüren.
»… konnte der Zünder entfernt und
die Evakuierung aufgehoben werden.« Kaum war Entwarnung gegeben, wühlte sie
sich aus dem unbequemen Versteck. Schwanzwedelnd kam sie zu ihrem Menschen,
wartete ungeduldig darauf, dass sie nun gehen würden. Sie schien zu wissen,
dass ihre Anwesenheit in diesen Räumen unerwünscht war.
»Sehen
Sie, Frau Schneider? Ich glaube, Tiere sind viel intelligenter, als gemeinhin
behauptet wird.«
Die
Sekretärin nickte nachsichtig. Sie selbst hatte eine Katze, mit der sie nach
Feierabend, wenn sie gemeinsam auf der Couch saßen, gern über alle Fragen des
Lebens diskutierte.
Der
Strafverteidiger atmete befreit auf. »Also ist unsere Wohnung doch nicht in
Schutt und Staub untergegangen! Welch ein Glück, Amanda«, freute er sich. »Ich
bin gleich zurück, Frau Schneider!«
Damit
sprang er elastisch auf und griff nach der Leine.
»Zuerst
ein bisschen Füße vertreten und dann nach Hause«, versprach er der Hündin
flüsternd, als er die Bürotür zuzog.
»Ach, Herr Ahrendt! Na, das war
ja mal eine Aufregung heute!«, begrüßte ihn die alte Frau Wohlfahrt aus der
Parterrewohnung kurz vor der Haustür. »Und ich hatte mich schon gefreut, denn
seit Sie in der
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