Kumpeltod: Nachtigalls achter Fall (German Edition)
Wohnung oben wohnen, ist es viel ruhiger geworden. Wenn ich da
an einige der Vormieter denke … Und dann so ein Schreck.«
»Ja,
das sehe ich auch so. Aber nun ist es zum Glück überstanden«, tröstete der
Verteidiger.
»Na ja,
ich weiß nicht recht«, kam die skeptische Antwort, »sehen Sie, in meinem Alter
nimmt man so etwas nicht mit Gelassenheit.«
»Aber,
Fräulein Wohlfahrt. Die Polizei hat doch die ganze Zeit über aufgepasst.
Niemand konnte unseren Besitz unbemerkt davontragen.«
»Sie
missverstehen mich«, tadelte die alte Dame und schob ihren Rollator in den
Eingangsbereich des Hauses. »Ich denke nicht an Plünderungen. Menschen in
meinem Alter kämpfen mit Erinnerungen an den Krieg! An die Bomben! Die Stunden
im Bunker. Einmal starb ein Mann dort unten, der fürchterliche Schmerzen gehabt
haben muss. Die Schreie werde ich nie mehr vergessen, bis ich sterbe, werde ich
die hören!«
Schuldbewusst
senkte der Anwalt den Kopf. »Tja, die nachfolgenden Generationen durften bisher
ohne solche Erfahrungen aufwachsen. Unseren Soldaten begegnet der Krieg
natürlich – aber wir Normalos hören und sehen davon bestenfalls in den
Nachrichten. Zum Glück!«
»Manchmal,
wenn ich sehe, was der Enkel meiner Schwester so am Computer spielt, wird mir
ganz schlecht. Die zielen auf Menschen. Schießen sie nieder. Und haben nicht
einmal den Hauch einer Ahnung, wie es auf so einem Schlachtfeld tatsächlich
zugeht.«
»Ein
Problem unserer Zeit, denke ich«, blieb Ahrendts Antwort vage, als er ihr die
Wohnungstür aufhielt.
Kokett
lächelnd schlüpfte sie hinein. »Das ist leider völlig aus der Mode gekommen.
Früher hielt der Herr seiner Dame auch die Autotür auf – heute
hat man eine Zentralverriegelung. Der Herr drückt auf einen Knopf und die Dame
öffnet selbst.«
Freundlich
verabschiedete sich der Anwalt auf dem Treppenabsatz und nahm mit Amanda den
Aufstieg in die vierte Etage in Angriff. Etwas atemlos erreichte er seine
Wohnung und kramte in der Jackentasche nach seinem Schlüssel.
Die
Hündin legte sich flach auf den Fußabtreter und winselte.
»Ach?
Erschöpft? Hast dich mal wieder total verausgabt. Was wetzt du auch mit diesem
jungen Labrador durch die Gegend.«
Amanda
legte den Kopf zwischen die dicken Vorderpfoten, schnupperte und begann leise
zu jaulen.
»Sag
bloß, dir hat es in der Kanzlei besser gefallen? Zusammengefaltet unter meinem
Schreibtisch, immer in der Gefahr, von einem Fuß schmerzhaft erwischt zu
werden.«
Er
schloss die Tür auf.
Amanda
knurrte grollend.
»Glaubst
du, da ist jemand drin?«, flüsterte Dr. Ahrendt verunsichert.
»Hallo?«
Amanda
gab sich redlich Mühe, vollständig in der Fußmatte zu versinken.
Es war
niemand in der Wohnung.
Jetzt
nicht mehr.
Mit
zitternden Fingern alarmierte Dr. Ahrendt die Polizei.
14
Michael Wiener und Peter
Nachtigall saßen im ›Schwarzen Schwan‹ und unterhielten sich mit Rainer Kunze,
einem Mann, von dem der Wirt ernsthaft behauptete, man habe vor 50 Jahren das
Gebäude um ihn herum gebaut, weil er damals schon hier saß – so wie
heute – hinter seinem Bier, zu jedem zweiten einen Kurzen.
»Den
Tillmann, klar, den kenne ich.«
»Der
Tillmann ist vor ein paar Monaten gestorben«, erinnerte ihn der Wirt.
»Ach
Quatsch! Der Tillmann doch nicht.«
»Mann,
wir waren zusammen auf seiner Beerdigung«, maulte Grundig, dessen Familie die
Kneipe schon seit Ewigkeiten gehörte. Der Alte warf ihm einen erstaunten Blick
zu.
Dann
wandte er den Kopf wieder zu den beiden Fremden um. »Stimmt das auch?«, fragte
er misstrauisch.
»Klar
stimmt das«, mischte der Wirt sich ein.
»Kennen
Sie auch Tillmanns Sohn? Den Heiner?«, fragte Nachtigall.
»Klar.
Der hat im Tagebau gearbeitet, wie sein Vater, wie ich. Aber ganz plötzlich
wollte der nicht mehr. Die heutige Jugend eben. Harte Arbeit liegt denen
nicht.«
»Wissen
Sie auch, mit wem Heiner enger befreundet war?«
Ein
breites Grinsen zog Kunzes Lippen so breit, dass Wiener meinte, von einem Ohr
zum anderen könne schon hinkommen.
»Der
hatte eine tolle Frau. Spanierin.«
»Italienerin«,
korrigierte Grundig, der offenbar interessiert zuhörte, von hinter dem Tresen.
»Die
war rassig! Hab mich die ganze Zeit gefragt, wie die ausgerechnet so einen wie
den Heiner heiraten konnte.«
»So
einen?«
»Der
Heiner war ein Langweiler.« Rainer trank einen großen Schluck. »War das nicht
der Heiner, der damals vom Blitz erschlagen wurde? 85? Bei dem
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