Kunst des Feldspiels
nach, dir professionelle Hilfe zu suchen .
»Bella«, rügte er sie, »du weißt, wie ich es hasse, wenn du das tust.«
»Wenn ich was tue?«
»Wenn du so tust, als
erinnertest du dich an nichts. Als seien Erinnerungen bloß eine Sache der
Bequemlichkeit und man könne sich ihrer einfach entledigen, wenn man sie nicht
mehr will. Warum du dich allerdings an etwas derart Schönes nicht erinnern
willst, ist mir zu hoch. Wir wachten auf. Die Sonne schien. Ich machte
Frühstück. Wir hörten Krebenspells Zweite Symphonie. Wir schliefen miteinander.
Wir gingen zum Abendessen ins Trisquette. Ich gab dir die hier.« Seine Stimme
war unausstehlich ruhig. Pellas Bedürfnis nach einer himmelblauen Pille war
längst jenseits von Gut und Böse, aber sie wusste nicht, wo ihre Handtasche
war. Sie suchte nach der Flasche Wein, aber auch die war verschwunden,
abtransportiert von dem Kellner mit den unbehaarten Händen. Sie hatte sie
wahrscheinlich ganz allein getrunken. David hörte immer nach zwei Gläsern auf.
Sie müsste geisteskrank sein, um sich an die Ohrringe nicht zu erinnern, und
sie war eindeutig nicht geisteskrank. Unverständlicherweise nicht geisteskrank.
Nicht nicht ungeisteskrank. Undeutlich erinnerte sie sich an ein Abendessen
Ende Dezember, einen grauenvollen Nachmittag, eingesperrt vom platinfarbenen
Sonnenlicht, das bizarre Gequietsche von Deskin Krebenspell, den David als den
»einzig lebenden Komponisten« bezeichnete. Kein Sex – auf keinen Fall. Aber die
Menschen erinnerten sich an das, was sie in Erinnerung behalten wollten. Sie
hatte David erzählt, dass sie mit Mike schlief, und er hatte es nicht glauben
wollen, es direkt wieder vergessen, weil sein Gehirn ein derartiges Wissen
schlicht nicht aushielt. Wenn er glauben wollte, sie hätten an Weihnachten miteinander
geschlafen, sollte er es glauben.
Die Ohrringe allerdings
waren eine andere Geschichte. Sie existierten . Lagen
dort auf dem Tisch. Sie kamen ihr entfernt bekannt vor – bestimmt hatten sie
sie in einer Boutique in Hayes Valley entdeckt, Pella hatte Oh und Ah gemacht, was David sich merkte – bei
Geschenken war er nie knauserig gewesen –, und dann hatte er sie gekauft, bevor
er hierhergeflogen war. Und jetzt tat er so, als hätte er sie ihr schon einmal
geschenkt. Sie griff nach einem, um ihn zurück in den Umschlag zu stecken. Wie
clever von ihm: Hätte er sie in ihrer nagelneuen Originalverpackung überreicht,
dann hätten sie auch nagelneu gewirkt. Ein klassisches David-Manöver, dieser
Versuch, sie zurückzugewinnen, indem er sie glauben machte, sie sei
geisteskrank. Er machte sie geisteskrank, sonst
niemand. Guten Geschmack hatte er allerdings. Der Ohrring glitschte ihr aus der
Hand und landete inmitten der blassen körnigen Rückstände in ihrem Weinglas.
Sie hätte ihn hinunterstürzen, ihn verschlucken sollen – dann wäre sie wirklich
geisteskrank gewesen. Und ihn hätte es ebenfalls aus der Fassung gebracht.
Sie hob ihr Glas und
stieß damit gegen Davids, das noch immer halb voll war. Voller Boshaftigkeit
sah sie ihn an und führte das Glas zum Mund. Scheiß auf Mike
Schwartz war der Trinkspruch, der ihr in den Sinn kam. Scheiß auf Mike Schwartz, welchen ich für mein Leben gern ficke. Nie zu betrunken, um welchen zu gebrauchen. Lustig,
dass sie für mein Leben gern statt liebend gern oder einfach ziemlich gern gedacht hatte. Ziemlich gern wäre der Wahrheit am
nächsten gekommen, aber so groß war der Unterschied ja nun auch nicht. David
sagte etwas und streckte die Arme nach ihr aus. Sie wich nach hinten aus. Sie
hatte das Weinglas beinahe ganz umgedreht, aber der Ohrring hing in der kleinen
Höhlung fest, die hinunter zum Stiel führte. Mit der verletzten Hand tippte sie
gegen das Glas. Mit einem leisen Klirren löste sich der Ohrring und schlitterte
die Wölbung des Kelchglases hinab in ihren Mund. Sie bewegte ihn darin herum,
kaltes Metall und Stein. Sie biss leicht darauf und ließ ihn unter die Zunge
gleiten. Es fühlte sich gut an.
»Spuck das aus«, sagte
David erschrocken.
Sie streckte ihm die
Zunge heraus.
»Du könntest dich
ernstlich verletzen.«
Ein Tausend-Dollar-Abendessen.
Eine Kunst-Performance.
»Du benimmst dich wie
eine Fünfjährige«, sagte David. »Das steht dir nicht.«
»Du meintest doch, du
hättest keine Verwendung dafür.«
»Hör auf mit dem
Theater. Spuck ihn aus.«
Sie zeigte ihm ihren
Mund von innen, wie eine Fünfjährige, die ihren Spinat geschafft hatte: leer.
Kurz vor dem Schlucken
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