Kunst des Feldspiels
zu und tippte ihm auf den Ellbogen.
Geistesabwesend, widerstrebend, ließ er die Gedanken an Owen fahren und wandte
sich der Frau zu. Wie sie ihn dort auf der anderen Seite des Spielfelds
beobachtete, zwei Zaunlängen zwischen ihnen, wurde Pella von Wut und Angst
überspült. Ihr Vater hatte sie belogen, hatte gelogen und gelogen und so mit
einem Mal alles auf den Kopf gestellt. Aber er war auch in Gefahr – er hatte
sich aus den Augen verloren, die Deckung sinken lassen, sonst wäre er wohl kaum
diese lächerlichen Risiken eingegangen, in aller Öffentlichkeit mit Owen zu
plaudern, sich überhaupt zu verlieben. Sie fühlte sich erschöpft. Sie wollte
sich am liebsten auf der Tribüne zusammenrollen und schlafen, aber dafür war
kein Platz.
Gary streckte den Kopf
über ihre Schulter, sein Atem roch nach Garnelen und Tabasco. »Da hast du wohl
noch mal Schwein gehabt«, sagte er.
48
—
Der Wurf kam hoch und flatterte immer höher. Im selben
Moment, in dem er Henrys Hand verließ, hätte er ihn am liebsten rückgängig
gemacht; selbst als er den Arm bereits wieder sinken ließ, griffen seine
Fingerspitzen noch nach dem Ball, als könnte er ihn zurückholen. Wichser.
Es schien ausgemacht, dass er über den Zaun und in die Tribüne
fliegen würde, zumindest bis Rick O’Shea seine über neunzig bierbäuchigen Kilo
irgendwie vom Boden löste – der Abstand zwischen der Erde und seinen Spikes war
unglaublich – und den Ball mit dem Rand seines extralangen Handschuhs wie mit
einem Eishörnchen auffing. Er landete, fuhr herum und ließ den heranhastenden
Läufer in den hingehaltenen Handschuh schlittern. Einer out.
Henry hob zwei Finger
in einer Geste schuldbewusster Dankbarkeit. Rick nickte, zwinkerte ihm zu – Kein Thema, kleiner Freund – und warf den Ball zurück zu
ihm, um das obligatorische Passspiel nach einem Out einzuleiten.
Henry drehte den Ball
in seiner Wurfhand. Er fühlte sich kalt, glitschig und fremd an. Er klemmte
sich den Handschuh unter den Arm und bearbeitete den Ball mit beiden Händen,
versuchte, etwas Leben in ihn zu kneten. Streng genommen war das regelwidrig,
nur Pitcher waren dazu befugt, aber die Schiedsrichter würden ihn nicht davon
abhalten. Eine Minute zuvor war noch alles in Ordnung gewesen, zumindest hatte
es den Eindruck gemacht, aber jetzt war der Gedanke an ein mögliches Scheitern
plötzlich wieder da, und der Unterschied zwischen möglichem Scheitern und
unvermeidlichem Scheitern war dünn wie eine Rasierklinge. Seine Lunge zog sich
zusammen, als stünde er bis zu den Achseln im See.
Entspann dich, lass es
laufen. Einen schlechten Wurf hatte er in sich gehabt, und von dem hatte er
sich befreit. Rick hatte ihm den Hintern gerettet. Sie lagen 2:0 vorn. Er schob die Gedanken an den schlechten
Wurf zur Seite, atmete ruhig durch und warf den Ball zu Ajay. Drehte sich um
und hob einen Zeigefinger in Richtung Quisp im linken Außenfeld: einer raus.
Ohne sie wirklich sehen zu können, sah er Aparicio auf der Tribüne, seine
Schwester, seine Eltern, Coach Hinterberg mit der hellgrünen
Lankton-High-Kappe, eine subtile Art der Parteinahme inmitten all des Rot und
Blau. Owens Stimme schwebte über den Rasen zu ihm herüber: »Henry, du bist
begabt! Wir unterstützen dich!«
Er schlug ein paar Mal
kräftig mit der Faust in seinen Handschuh, ging dann wieder leicht in die
Hocke. Starblind warf einen tückischen Curveball, der in letzter Sekunde
eindrehte und offenbar noch die Ecke der Schlagzone touchierte. Der
Schiedsrichter aber entschied auf Fehlwurf. »Sahgutaussahgutaussah sehr gutaus!«, rief Henry. Dabeibleiben, den Mund aufmachen.
Nicht abbauen, sich nicht zurückziehen. »Genau deine Stelle, Adam, genau deine
Stelle. Der nächste ist unserer.« Je mehr Typen Starblind
out macht, desto weniger Aufsetzer kommen bei mir an. Bei diesem
Gedanken ertappte sich Henry und schalt sich selbst, ertappte sich dabei, wie
er sich schalt, und versuchte, die innere Ruhe wiederherzustellen.
Der nächste Schlagmann
gelangte unbeschadet zur First Base. Sollte jetzt einer zu
mir kommen, muss ich zumindest nicht zur First werfen, sondern kann zu Ajay
spielen, und der kann den Läufer vor der Base out machen. Wenn er zu Ajay
fliegt, kümmere ich mich um die Second, werfe von da zur First, und wir
schalten zwei aus. Von der Second auf die First ist kein Problem.
Ruhig, ruhig, ruhig.
Die Coshwale-Fans waren
aufgestanden, pfiffen und stampften mit den Füßen. Warteten auf den nächsten
Ball.
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