Kunst des klaren Denkens
fünf Studenten teilen. Den einen oder anderen treffe ich manchmal im Fahrstuhl. Ich fragte jeden von den Jungs separat, wie oft er den WG-Müll hinaustrage. Einer sagte: »Jedes zweite Mal.« Ein anderer: »Jedes dritte Mal.« Ein anderer, fluchend, denn ich traf ihn grad mit einem geplatzten Müllsack an: »Sozusagen immer, zu 90 %.« Obwohl alle Antworten zusammen 100 % ergeben sollten, addierten sie sich zu 320 %! Die WG-Bewohner überschätzten systematisch ihre Rolle – und sind darin nicht anders als wir alle. In einer Ehe spielt derselbe Mechanismus: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sowohl Männer als auch Frauen ihren Beitrag zum Funktionieren der Partnerschaft mit über 50 % bewerten.
Wie dem Self-Serving Bias entgegentreten? Haben Sie Freunde, die Ihnen ungeschminkt die Wahrheit sagen? Wenn ja, können Sie sich glücklich schätzen. Wenn nicht, haben Sie wenigstens einen persönlichen Feind? Gut. Dann springen Sie über Ihren Schatten und laden Sie ihn zum Kaffee ein. Bitten Sie ihn, seine Meinung zu Ihrer Person unverhohlen auszubreiten. Sie werden ihm ewig dankbar sein.
THE HEDONIC TREADMILL
Warum Sie Ihren Arbeitsweg kurz halten sollten
Angenommen, eines Tages klingelt Ihr Telefon: Man teilt Ihnen mit, dass Sie zehn Millionen im Lotto gewonnen haben. Wie werden Sie sich fühlen, und wie lange werden Sie sich so fühlen? Anderes Szenario: Ihr Telefon klingelt, und man teilt Ihnen mit, dass Ihr bester Freund gestorben ist. Wie werden Sie sich fühlen, und wie lange werden Sie sich so fühlen?
In einem früheren Kapitel haben wir die miserable Qualität von Prognosen – in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – untersucht und stellten fest: Experten arbeiten nicht besser als ein Zufallsgenerator. Wie gut sind wir im Prognostizieren unserer eigenen Gefühle? Wird der Lottogewinn von zehn Millionen Sie viele Jahre lang sehr glücklich machen? Der Harvard-Psychologe Dan Gilbert hat Lottogewinner untersucht und festgestellt, dass der Happiness-Effekt nach durchschnittlich drei Monaten verpufft. Drei Monate nach der großen Banküberweisung werden Sie so glücklich oder unglücklich sein wie zuvor.
Ein Freund, Manager bei einer Bank, und allein aufgrund dieses Umstands mit unanständig viel Einkommen gesegnet, entschloss sich, aus der Stadt wegzuziehen undein Haus außerhalb von Zürich zu bauen. Aus seinem Traum wurde eine Villa mit zehn Zimmern, Schwimmbad und einer beneidenswerten Aussicht auf See und Berge. In den ersten Wochen strahlte er vor Glück. Doch schon bald war kein Überschwang mehr zu erkennen, und sechs Monate später war er unglücklicher als je zuvor. Was war passiert? Der Happiness-Effekt war nach drei Monaten verpufft, die Villa nichts Besonderes mehr. »Ich komme von der Arbeit nach Hause, stoße die Tür auf und realisiere gar nicht mehr, was für ein Haus das ist. Meine Gefühle unterscheiden sich in nichts von jenen, die ich als Student beim Betreten meiner Einzimmerwohnung hatte.« Gleichzeitig aber kämpfte der arme Kerl jetzt mit einem Arbeitsweg von durchschnittlich 50 Minuten. Studien belegen, dass Pendeln mit dem Auto am meisten Unzufriedenheit auslöst und man sich kaum daran gewöhnt. Wer keine angeborene Affinität für den Pendelverkehr hat, wird täglich daran leiden. Wie auch immer: Der Nettoeffekt der Villa auf die Glückseligkeit meines Freundes war jedenfalls negativ.
Anderen geht es nicht besser: Menschen, die einen Karriereschritt geschafft haben, sind nach durchschnittlich drei Monaten wieder so glücklich oder unglücklich wie zuvor. Dasselbe bei jenen, die immer den neuesten Porsche haben müssen. Die Wissenschaft nennt diesen Effekt Hedonic Treadmill (auf Deutsch etwa: Zufriedenheits-Hamsterrad): Wir arbeiten und steigen auf und leisten uns mehr und schönere Dinge, und doch werden wir nicht glücklicher.
Wie sieht es bei negativen Schicksalen aus – zum Beispiel bei einer Querschnittslähmung oder dem Verlusteines Freundes? Auch hier überschätzen wir systematisch die Länge und Intensität zukünftiger Emotionen. Wenn eine Liebe in Brüche geht, bricht die Welt zusammen. Die Gepeinigten sind zutiefst überzeugt, nie mehr auch nur einen Hauch von Glückseligkeit zu verspüren – doch nach durchschnittlich drei Monaten lachen sie wieder.
Wäre es nicht schön, wir wüssten genau, wie glücklich uns ein neues Auto, eine neue Karriere, eine neue Beziehung machen würde? Dann könnten wir klarer entscheiden und würden
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