Kunst hassen
Überprüfung, ob die Auswahl wirklich gerecht war oder ob einzelne Künstler neu betrachtet werden müssen, was übrigens auch permanent geschieht. Die Kunsthistoriker wissen im Zusammenhang ihrer Recherchen um viele Namen, von deren Werken kaum etwas übrig geblieben ist, die plötzlich wieder interessant werden.
Was ist das für Kunst, die Sie in Ihrem Haus zeigen?
Es fällt heute schwer, Kunst zu definieren. Die Gründungsidee des Hauses war, dass hier der sogenannte erweiterte Kunstbegriff mit allen seinen Grenzüberschreitungen gezeigt wird. Zeitlich beginnt diese künstlerische Bewegung zu Beginn der 1960 er Jahre, wennman von einigen bedeutenden Vorläufern wie Marcel Duchamp absieht. Wir zeigen also eine Kunstentwicklung, die seit 50 Jahren die Kunstproduktion wesentlich bestimmt. Fluxus, Land Art, Minimal Art, Conceptual Art u. a. wurden zu den 1960 er Jahren als neue Bewegungsformen unter neuen Begrifflichkeiten eingeführt. In der Zeit wurde nahezu alles erfunden, was heute weitergedacht wird.
Wie schafft es die Kunst, sich der Gegenwart zuzuwenden? Und nicht der jüngeren Kunsthistorie?
Also unmittelbar auf gegenwärtige Prozesse zu reagieren?
(Er schaut aus dem Fenster.)
Das ist besonderen Menschen geschuldet, die einen besonderen sinnlichen und intellektuellen Apparat entwickelt haben, wie immer man den Künstler beschreiben will. Eine besondere Sensibilität – was immer sich an Mitteln und Widersprüchen in der Person ausbildet – treibt sie dazu, das, was sie in der Gegenwart erleben bildnerisch zu formulieren, also in eine bestimmte Form oder Gestalt zu geben, die Idee einem bestimmten Medium anzuvertrauen, und dafür zu sorgen, dass das Ding seinen Weg durch die Gesellschaft nimmt, Aufmerksamkeit erweckt und nach und nach einen Konsens herstellt, dass das etwas Wichtiges sein könnte.
Haben Sie ein Beispiel aus den letzten zehn Jahren?
Da gibt es sehr viele. Ich meine gar nichts Spezielles, ich meine das allgemein. Dafür finden Sie zig Beispiele in der jüngeren Kunstgeschichte. Also wenn sie bei uns inder Sammlung jüngere Künstler sehen … Was haben wir denn in Moment hier überhaupt ausgestellt?
Paul McCarthy?
Der wird jetzt auch 70 .
Einige der Arbeiten, die hier ausgestellt werden, entstanden erst vor wenigen Jahren.
Wir haben den amerikanischen Künstler Bruce Nauman gezeigt, der gleiche Jahrgang wie McCarthy. Bruce Nauman ist ein außerordentlich geistreicher Künstler, der sich auf eine geniale Weise mit Fragen der Gegenwart auseinandersetzt. Beim Schreiben über ihn ist mir klar gewordnen, dass er sehr früh Fragen des Körpers behandelt hat, die erst in jüngster Zeit im allgemeinen philosophischen Diskurs, vor allem in der französischen Philosophie interessant wurden. Etwa der besondere Bezug zum Körperlichen, den Jean-Luc Nancy in seinem Buch Corpus von 2003 beschreibt. Nauman hat dieses Thema 40 Jahre vorher als Künstler auf seine Weise formuliert – natürlich nicht theoretisch, sondern in seinen Werken. Bruce Nauman griff dieser Frage um den Körper voraus, die heute immer wichtiger wird. Es ist nicht nur die Frage nach dem Körper und seiner sinnlichen Raumerfahrung, sondern auch nach dem Verlust der Sinne in der Zweidimensionalität einer zunehmend digitalisierten Welt.
Glauben Sie, dass die Besucher diese Fragen beim Betrachten von Naumans Werken erahnen?
Nein! Das muss auch gar nicht sein.
Sie sagen das so eindeutig: »Nein«.
Ja, weil die Konzepte der Künstler dermaßen weit vom »normalen« Denken entfernt sind, dass sie zunächst wie ein Geheimnis wirken. Sie vertreten oftmals ein exzentrisches bildnerisches Denken. Selbst für ein Publikum, das sich mit dem Besuch des Museums schon für eine Auseinandersetzung entschieden hat, ist es oftmals schwer nachzuvollziehen. Für die, die nicht ins Museum gehen, ist es natürlich eine völlig verschlossene Landschaft, deren Wert für die Gesellschaft sie in Frage stellen. Erst die Auseinandersetzung führt dicht an die Kunst heran.
Ist das eine Abgeschlossenheit von Kunst, die hier im musealen Raum bestärkt wird?
Nun ja, Kunst kommt auf jeden Fall von Kunst. Keine Kunst kann sich völlig herausnehmen aus der Kunstgeschichte, es sei denn sie tut das, was etwa Joseph Beuys mit seiner Sozialen Plastik als eine besondere Form der Grenzüberschreitung hin zu einer utopischen Qualität meinte, die direkt gesellschaftsverändernd wirken sollte. Das ist wirklich ein anderes Feld, da sind ästhetische Fragen mehr und
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