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Kunst hassen

Kunst hassen

Titel: Kunst hassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Zepter
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Idealvorstellung, die sie zu Beginn genannt haben, das sehe ich nicht. Alles ist übersichtlich, die Sammlungen sind sich alle irgendwie ähnlich …
    Klar.
… und das Café ist gemütlich …
    Klar.
… man wird gut durchgeführt.
    Ja.
Wenn Grenzen überschritten werden, wie sie sagen, dann muss ich doch etwas merken.
    Ja.
Ich merke nichts.
    Ich glaube, dass in der bildenden Kunst andere Wahrnehmungsprozesse stattfinden als z. B. in der Literatur, auch wenn es Grenzlinien, und Überschreitungen gibt. Ich glaube, dass es eine kurze Phase gibt, wo Künstler mit extremen Performances öffentlich Aufmerksamkeit erregen konnten. Wie jüngst Marina Abramovic bei ihrer großen Ausstellung in New York, als sie sich nackt dem Publikum im MoMa aussetzte.
Was ist mit den Nackten in der Werbung, Online, FKK? Das ist doch nichts Ungewöhnliches.
    Das stimmt schon. Ich wollte nur sagen, dass sie versucht hat, an die Performance Art aus den 60 er und 70 er Jahre anzuknüpfen. Das Nackte im Museum ist etwas völlig anderes als in der Werbung oder im Internet. Es ist eine unmittelbare Erfahrung an einem Ort, wo man dieses Ereignis nicht vermutet. Obwohl diese Performance viele Menschen beeindruckt hat, gelingt es meines Erachtens nicht mehr wirklich, die Besucher über diesen Weg zu erreichen.
Warum?
    Genau aus diesen von Ihnen genannten Gründen. Weil es eine nie gekannte Flut von digital verbreiteten Bildern gibt, die sich im Kopf sofort dazwischen schieben, wenn man sich dieser anderen, ungewöhnlichen, verlangsamten Bildwelt der Kunst widmen will. Ähnlich verhält es sich mit Performances und ihrer provokativen Energie. Ende der 1960 er hat sich der Performer Chris Burden in einem Galerieraum den Besuchern und einem bereitgestellten, geladenen Gewehr ausgeliefert. Sie durften auf ihn schießen. Das ist natürlich eine extreme Form der Performance Art und hat in dieser Zeit enorm provozierend gewirkt. Diese Reizschwellen sind lange überschritten. Ich hielte es auch für unsinnig, wenn Kunst so etwas heute versuchen würde.
Am Anfang haben Sie gesagt, Kunst soll die Grenzen austesten und überschreiten.
    Ja, in anderen, unserer Zeit gemäßen Weise.
Durch Bildung und Wissen?
    Es ist jedenfalls eine andere Grenzüberschreitung verlangt als durch Schock und Provokation.
Es muss keine Provokation sein, auch Schönheit bricht Grenzen auf und tut weh.
    Ja. Aber ist es noch möglich, Schönheit oder Erhabenheitin der Kunst zu thematisieren und was verstehen wir heute darunter? Man müsste erst einmal die Begriffe neu klären, um einen sinnvollen Diskurs führen zu können.
Das heißt auch, die zeitgenössische Kunst ist in einer schwierigen Situation?
    In einer sehr schwierigen Situation. Sie bewegt sich in einem von ökonomischen Gesetzen durchdrungenem Feld, das von dauernden Entwertungsprozessen begleitet permanent nach Neuem auf der Suche ist und dadurch eine inflationäre Produktion in Gang gesetzt hat. Einen wesentlichen Faktor bilden die bewußtseinsverändernden digitalen Medien und ihre Geschwindigkeiten, die dauernd in informativen Netzwerken die Terrains sondieren und die Produktionsverhältnisse von Kunst verändert haben.
Aber es gibt Kunst, die jetzt produziert wird. Und genau diese Generation kann mit der Kunst häufig nichts anfangen. Ist das ein Fehler?
    Zum einen denke ich, dass Kunst eine rare Ressource ist. Auf die Produktion eines Jahrhunderts bezogen, bleiben am Ende nur wenige Künstler im kulturellen Gedächtnis gespeichert. Und zwar in allen Gattungen, in der Literatur, Musik, bildenden Kunst finden sich nur wenige Menschen, die die Kraft haben, Werke zu erzeugen, die sich immer wieder in die jeweilige Gegenwart geistig hineinzustellen vermögen. Nehmen sie ein populäres Beispiel: Ein spätes Selbstbildnis von Rembrandt, eines der letzten Altersbildnisse, wo er mit ironischem Lächeln – nach Insolvenz und Verarmung – im Spiegel ein selbstbewusstes Fazit seines Lebens zieht. DiesesBildnis hat eine so reiche Energie, dass hier im Raume der alte Rembrandt zu einer Wirklichkeit würde. Dieses Bild hat obwohl aus einem völlig anderen gesellschaftlichen Umfeld stammend, an Kraft nichts verloren. Nicht nur, weil es eine existentielle Grundthematik des Menschen auf eine besondere Weise anrührt, die über Jahrhunderte gleich geblieben ist, sondern weil es sein Geheimnis wahrt. Es ist natürlich auch einem Erfahrungsprozess geschuldet, die Kunst sehen zu lernen. Nicht zu erwarten, dass man mit einem Knopfdruck

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