Kunst hassen
zentrales Thema, nämlich die Frage nach der Seele. Also die Frage nach der Transzendenz, die uns christlich geprägten Europäern in einer sehr abstrahierten Figur wie Jesus Christus, quasi aus einem Gottmenschen heraus, ein Koordinatensystem zur Verfügung stellte, woraus wir unsere Wertevorstellungen nicht nur seit über 2000 Jahren schöpfen, sondern auch überprüfen können. Wenn man das kippt, und alle Vorstellungen nach Transzendenz, Ewigkeit, nach dem, was nach dem Tod passiert, die Frage nach der Seele nicht mehr stellt oder für esoterischen Unfug hält, wenn wir also eine materialistisch-atheistische Gesellschaft forcieren, entsteht die Frage, halten wir das als Menschen überhaupt aus?
Der Raum suggeriert das?
Der Raum suggeriert diese Frage.
Eine Art schwarzes Loch.
Ja, Nauman benutzt ja in der Kreuzform bewusst die Vierung der Kirchenbauten als ein architektonisches Element der christlichen Baukultur. In dem zentralen Punkt dieses gebauten Raumkreuzes, wo das eigentliche Ereignis stattfindet, nämlich am Ort der Heimat oder der Verehrung der Seele, da ist bei ihm das Nichts.
Was glauben Sie, wie viele Besucher das Nichts empfinden?
Die meisten. Sie stellen nicht unbedingt diesen großen Zusammenhang her, den ich jetzt hier nur skizziert habe. Aber sie empfinden in diesem Raum etwas Eigenartiges, was sie beunruhigt. Und das ist für mich das wertvollste an dieser Arbeit. Sie zeigt auch, dass die meisten geradezu ideologisch davon besetzt sind, im Museumdie Werke rational verstehen zu müssen: ich muss jetzt da drin sein und dann muss ich den gesamten Zusammenhang erzählen können, sonst hat sich gar nichts ereignet. Das in das Werk hineingehen und zunächst nichts zu verstehen, aber etwas zu empfinden, z. B. hier ist ja alles furchtbar, hier ist alles leer, ist jedoch die eigentliche wichtige Erfahrung, die aber als ein Defizit, als ein Nichtverstehen wahrgenommen wird. Dann sehen sich die meisten in der Hoffnung auf eine Aufklärung den Titel an und sind vielleicht noch ratloser. Die Meinung aber, ich hab gar nichts verstanden, kann man im Gespräch mit Besuchern überraschend leicht korrigieren, in dem man gemeinsam feststellt, dass das Grundgefühl, das Empfinden schon der wichtigste Impuls zum »Verstehen« des Werkes war.
Das Nichtverstehen?
Das Nichtverstehen, ja. Und die Leere. Dieser als hilflosen Zustand empfundene Verlust des rationalen Verstehens. Dass da aber trotzdem etwas ist, das ist eine ganz wertvolle Erfahrung.
Um zuzuspitzen – die Ästhetik des Minimalismus ist in unsere Lebenswelt als Welt des Designs mit eingeflossen. Wie können hier noch Grenzen erweitert werden, von denen Sie am Anfang sprachen?
Deshalb habe ich den Satz von Beuys erwähnt, dass die Museen im Grunde Universitäten mit Objekten sind. Museen müssen sich sehr stark zu einem Bildungsraum entwickeln, in dem man im Diskurs mit den Dozenten oder Kuratoren, sich diese besonderen Ideen und Gedankenräume der Kunst aneignet.
Das ist auch ein elitärer Weg. Sie würden auf eine Tendenz zur sinnlichen Wahrnehmung und reiner Kunsterfahrung verzichten wollen?
Nein, ich denke, dass die Inszenierung von Kunst sehr wichtig ist. Nur ich würde die andere Seite betonen wollen. Das Museum ist sowohl ein Haus der sinnlichen Erfahrung, was es ja für viele Menschen tatsächlich ist, man geht durch, guckt hier und da, sieht irgendetwas Seltsames. Man hat so einen Wunderkammer-Effekt, man versteht zwar nicht alles, aber man befindet sich innerhalb dieser kulturellen Verabredung Museum und staunt. Museen für zeitgenössische Kunst haben inzwischen eine Art von hohem Unterhaltungswert. Auch wenn der zum Teil nur darin besteht, nichts mehr zu verstehen und sich darüber lustig zu machen, das Museen offenbar völlig wertlose Dinge sammeln, ausstellen, bewachen lassen und dass man die nicht berühren darf. Andererseits gibt es das wissende, sehr gebildete Publikum. Diese widersprüchlichen Erfahrungen mit Objekten der Kunst müssen stattfinden. Aber die andere Seite – das Gespräch zu suchen, den Kontext zu suchen, sich auseinanderzusetzen mit anderen Personen, an die man auch sein Unverständnis richten kann –, die muss die reine Erfahrung unbedingt ergänzen.
Oder Zuneigung.
Oder seine Zuneigung ausdrücken, ja.
Es fehlt an Vermittlung, die intensiver stattfinden muss?
Ja. Ich kann mir das seminaristisch vorstellen, wie an der Universität, wo sich Leute einschreiben und Seminare belegen.
Grenzen überschreiten,
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