Kunst hassen
in eine andere Sphäre transferiert wird, sondern dass man mit Geduld, mit Achtsamkeit der Kunst gegenübertritt. Es wäre ein großer Verlust, wenn Kunst nicht mehr zu den Grundbedürfnissen des Menschen zählen und aus dem kulturellen Haushalt aussortiert würde. Ich bleibe da optimistisch.
I hate your work
In New York gibt es die six block rule: Wenn sich der Besucher einer Kunstausstellung negativ über die Ausstellung äußern möchte, dann bitte mit mindestens sechs Häuserblocks Abstand. Das sind ungefähr 6 x 200 Meter. Also knapp mehr als einen Kilometer, bis einer, sagen wir nach dem Besuch der Maurizio Cattelan Retrospektive im Guggenheim Museum, sagt: »Maurizio Cattelan ist ein Vollidiot.« Nun lässt sich dieses Phänomen nicht überprüfen, doch lässt sich beobachten, dass sich die meisten Besucher an diese Regel halten. Kritik ist in der Kunst selten geworden. So selten, dass sie gesucht werden muss. Die ausweichende Diskussion über ein Werk erscheint noch angemessen: »Mir persönlich gefällt die Farbe. Gehört der Rahmen auch zur Arbeit?«, ein offenes Desinteresse ist verwerflich: »Das ist die Ausstellung?«, seine eigene Meinung zu sagen gilt als subversiv: »Langweilig.« In einer Welt, in der schon morgen das nächste Genie die größte Bedeutung seiner Generation erlangen kann: »Einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit«, und Sammler wie Galeristen den Daumen hoch oder runter halten, lebt der, der eine eigene Meinung hat, gefährlich.
Das Miteinander auf Ausstellungseröffnungen lässt sich deshalb auch am besten in einem Satz so beschreiben, wie es nicht ist: Es ist nicht interessant. Wie überall auf Openings, bei Shoperöffnungen oder Produktvorstellungen, auf Designevents oder eben Kunstausstellungen ist die soziale Welt ein fein abgestimmtes Schauspiel, in der jederdie Codes versteht: Nicht reden und nicht miteinander reden ist das Vehikel, das die Gesellschaft vorantreibt. Der Händedruck fad, der Blick neugierig über den Kopf des anderen hinweg: »Wer ist sonst noch da?« Die Kunst wird mit einem Gestus zwischen angestrengtem Interesse und erhabener Gleichgültigkeit abgeschritten, und es geht einem das Bild nicht aus dem Kopf, dass die Anwesenden Gäste einer Party sind, die vor dem ersten Drink die Bibliothek des Hausherrn bestaunen müssen. Die Teilnehmer agieren wie unter einer Glasglocke gefangen, kaum ist der Raum des Events betreten. Die Sprache dient als Mittel, diese Codes zu bestätigen: »Hey!« »Ja!« »Toll!« Oder: Jeder denkt sich seinen Teil, alle halten schön den Mund. Natürlich gibt es diese Gesellschaft nicht nur in New York: Sie lässt sich ebenso in Berlin, L. A., London, Miami, Venedig und jeder anderen Großstadt dieser Welt beobachten.
Die richtige Etikette
Um nicht negativ aufzufallen, kann sich jeder, der sich für Kunst interessiert und der Etikette nicht mächtig ist, Ratschläge aus Magazinen und Büchern holen. In New York erschien wie bereits erwähnt im Verlag des Kunstmagazins Paper Monument das Etikettenbüchlein: I Like Your Work. Art and Etiquette. Der Künstler Ryan Steadman antwortet auf die Frage, welche Regeln es in der Kunstwelt gibt: » 1 . If you are a skinny artist, be clean and net. If you are a fat artist, be crazy looking and disheveled. Not sure why, but this seems to work best. 2 . Negative comments about the artist’s work at their opening is the equivalent of taking a shit on someones birthday cake at their fortieth birthday. The proper thing to do is to save your negative comments as ananonymous blog post! 3 . Don’t wear khaki pants.« Es gibt in dem Büchlein auch einen anderen Blick auf die Kunstwelt. So meint der Kritiker und Kurator Bob Nickas: »You don’t need permission to participate in culture.« Das deutsche Kunstmagazin Monopol titelte entsprechend mit der Geschichte: »Benimm dich! Der große Monopol Knigge«. Und macht mit dem Foto der wenig provokativen Bierruine des Künstlers Cyprien Galliard auf: »Darf man das?« Der Knigge eröffnet mit dem Eingeständnis: »Sie fühlen sich unsicher, fremd, wie unter Aliens und haben keine Ahnung, was die Kunst bedeutet? Keine Bange. Das geht allen so. Man gewöhnt sich dran. Aber ändern wird sich das Spiel nie. Spielen Sie mit oder gehen Sie wieder. Es hat Sie niemand zum Kommen gezwungen.« Der Kritiker ist besonders arm dran: »Finden Sie sich damit ab, dass Sie nur in Ausnahmefällen gebraucht werden. Über Erfolg und Misserfolg eines Künstlers
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