Kunst hassen
bestimmen Auktionen und / oder Sammler – basta. Für ihren Berufsstand werden monatlich neue Symposien zur Meinungsschwäche der Kritik veranstaltet. Sollten Sie aber mal eine deutliche Meinung äußern – vulgo: eine Ausstellung verreißen –, können Sie danach getrost ein halbes Jahr zu Hause bleiben. Es redet eh keiner mehr mit Ihnen.« In der gleichen Geschichte lässt das Zitat des Schriftstellers Clemens Meyer aufatmen: »Kein Larifari, voll in die Fresse.« Aber das ist nur noch Hoffnung.
Schön reden, ins Leere sprechen, schwafeln
Jede Beurteilung von Kunst ist abhängig von dem Begriff, den wir uns über Kunst machen. Trotz der weitverbreiteten Meinung, dass es eine differenzierte Betrachtung derKunst gibt, ist doch alles: Kunst. In kaum einer Branche wird so stark verallgemeinert wie in der bildenden Kunst. Der Begriff Kunst deckt alles ab: Trash, Glamour, Kitsch, Design, Handwerk, Pop. Jeder Unterschied wird ignoriert, es herrscht hemmungslose Gleichmacherei. Gleichzeitig existiert ein normativer Begriff der Kunst nicht mehr. Was ist Kunst? Die Frage kann nicht beantwortet werden. Die Diskussion über Kunst ist im Keim erstickt. So lesen sich dann auch die Kritiken: schön reden, vorsichtig formulieren, ins Leere sprechen, Worthülsen. Dazu gehören wollen, distanzlos sein, schwafeln. Es ist seichte, vom Ausstellungsbetrieb abhängige Kunstberichterstattung, von einer Beurteilung und dem Diskurs weit entfernt. Denn ja: Es gibt enttäuschende Ausstellungen, langweilige Künstler und nichtssagende Kunstwerke. Doch Feuilletontexte lesen sich wie Ausstellungskataloge, Reviews sind Ansammlungen von neutraler Umschreibung oder Positivbekenntnissen. Selbst aus dem Geschmacksurteil ist reine Bewunderung geworden. Und aus der Kunstkritik Kunst- PR . Das Schreiben über Kunst hat das Beschreiben der Wahrheit verloren, ob als Kritik, Review oder Kunsttheorie.
In seinem Essay »On Bullshit« geht der Philosoph Harry G. Frankfurt der Frage nach, warum wir bewusst Schwachsinn reden: Wir reden über etwas, ohne die Wahrheit oder Unwahrheit der Aussage mit einzubeziehen. Dieses Phänomen trifft ebenso auf die Kunstkritik zu. Die einzige Diskussion, die immer noch zur Genüge stattfindet, beschreibt den Ausschnitt, der das System treibt: den Markt und das Geld. Nicht, dass diese Punkte nicht auch erwähnenswert sind. Doch beschränkt sich die Kritik damit auf einen Blick, der vom System selbst geprägt ist. Nun kann eigentlich in einem System niemand den Blick vonaußen einnehmen, es würde schon ein wenig Distanz reichen, um zu reflektieren, dass man sich überhaupt in einem System befindet.
Der Kritiker ist jedoch durch seine Klassenzugehörigkeit legitimiert. Er definiert sich nicht über das Tun, sondern über das Sein. Auch wenn er die Differenzierung in seiner Berufsbezeichnung hat – Kritik bedeutet seiner Herkunft nach unterscheiden –, unterliegt sein Urteil dem Prozess der Übereinstimmung. Der Übereinstimmung mit dem Kunstbetrieb. Die Phänomene passen zusammen: Das Sein und Scheinen, das Darstellen, die Heuchelei – und Symposien über Meinungsschwäche als Resultat dessen. Dabei lebt der Kritiker in Zeiten unbequemer Konkurrenz: Heute reicht allein der Preis des Kunstwerks aus, um ein Werturteil abzugeben. Zudem bewältigt er das Zusammenspiel seiner verschiedenen Tätigkeiten nicht: Kritiker sind Künstler sind Galeristen sind Kuratoren. Da verirren sich viele in der Distanzlosigkeit. Es braucht also anscheinend nicht einmal Abstand, um seine Arbeit gut zu machen. Sollen sich Kritiker, Künstler und Galeristen meinetwegen in den Armen – oder miteinander im Bett liegen. Es wäre einfach nur schön, wenn mal wieder jemand nicht gefallen möchte.
Eine Zeit des Einschlafens
Es braucht keine Gesetze oder Regeln, um über Kunst zu reden. Es braucht Mut. Es darf in der Kunstkritik nicht um ein Anpassungsbedürfnis gehen. Allein die Auswahl der besprochenen Ausstellungen in den Feuilletons zeigt, dass der Blick einseitig auf populäre Ausstellungen in den bekannten Großstädten gerichtet ist. Was in einem Kunstverein einer kleineren Stadt passiert, wird ignoriert. Was inden Ateliers passiert ebenso. Wie produziert ein Künstler heute? Unter welchen Bedingungen? Und was kommt dabei heraus? Ein Kunstkritiker leistet schlechte Arbeit, wenn er nicht investigativ beobachtet und Mechanismen entlarvt: die Hierarchie eines inner circles, der ein Kunstwerk hofiert, es immer wieder ins mediale Licht rückt.
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